Die Ausstellung “Zur Nachahmung empfohlen!“ zeigt bis zum 30. Oktober im Virginia Haus in der HafenCity Kunst zum Thema Nachhaltigkeit.

Hamburg. Was erwartet man von einer Ausstellung über Nachhaltigkeit? Öde Wandbehänge, lange Texttafeln, viel Unsinnliches und eine Menge Belehrendes. Doch es geht auch anders. Wie, das zeigt zum Beispiel die Arbeit der Schweizerin Petra Maitz. Drei Jahre lang hat sie mit einer Helferschar ein bedrohtes Korallenriff nachgehäkelt, das "Lady Musgrave Island" östlich von Australien.

In Farben von Pink bis Blau ergießen sich nun Röhrlinge über den Lageplan der HafenCity im Info-Center. Das Häkel-Riff ist Teil der Schau "Zur Nachahmung empfohlen! Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit", die bis Ende Oktober im Überseequartier zu sehen ist.

Kuratorin Adrienne Goehler führt darin über 40 nationale und internationale Positionen aus den Bereichen Kunst, Wissenschaft, Film und Architektur zusammen. Goehler ist nicht irgendwer. Die streitbare Kuratorin war von 1989 bis 2001 Präsidentin der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, anschließend Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur der rot-grünen Übergangsregierung in Berlin und von 2002 bis 2006 Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds.

"Ästhetik und Nachhaltigkeit werden nirgendwo zusammengebracht. Es gibt keine Gefäße dafür, keine Fördertöpfe, keine Stiftungen. Die ökologischen Stiftungen sagen 'Das ist doch Kunst', die künstlerischen sagen 'Das ist doch Umwelt'", sagt Goehler. "Wir müssen dringend ein Fördersystem für Nachhaltigkeit finden und Künstler, Wissenschaftler und Erfinder darin zusammenbringen." Doppelbödige Auseinandersetzung in der Kunst, die ganz nebenbei das Wissen des Betrachters vermehrt anstelle eines reinen Expertentums -, darauf setzt sie in ihrer Schau höchst eindrucksvoll.

Über einen Bildschirm flimmert der Urahn dieses Themenkomplexes, Joseph Beuys. Zu sehen ist, wie er 1982 auf der Documenta 7000 Eichen pflanzt. Die Düsseldorferin Ursula Schulz-Dornburg präsentiert eine Arbeit über das Verschwinden der Weizenvielfalt. 76 000 Sorten gibt es weltweit, die sich auch optisch mitunter stark voneinander unterscheiden. Die sechs Hybridweizen des global operierenden US-Konzerns Monsanto daneben sehen dagegen alle exakt gleich aus.

Für ihre Arbeit "Verrat an der Natur" hat die Schweizerin Cornelia Hesse-Honegger 16 000 Wanzen in Tschernobyl Fallout-Gebieten unter einer extrem vergrößernden Lupe untersucht und die Ergebnisse in Farbskizzen festgehalten. Sie zeigen Insekten von trauriger Schönheit, geprägt von Mutationen und Asymmetrien. Hier fehlt ein Bein, dort sind Fühler verkümmert.

Auch norddeutsche Künstler sind vertreten. Der Hamburger Till Leser hat Unmengen von Müll fotografiert, die zusammengepresst beinahe an ein Kunstwerk von Jackson Pollock erinnern. Aus in Harz getränkter Zellulose entwickelte der Kieler Erfinder Gerd Niemöller eine der Bionik entnommene Wabenstruktur, aus der sich sogar erdbebensichere Häuser bauen ließen. Die praktische Idee kommt nicht überall gut an. Als Niemöller nach der Erdbebenkatastrophe in Haiti helfen wollte, sah er sich mit der massiven Abwehr der örtlichen Zeltmafia konfrontiert.

Eine praktische Idee entwickelte auch die in Los Angeles lebende Koreanerin Jae Rhim Lee. In ihrem "Infinity Burial Project" hat sie einen Ganzkörperanzug zur Kompostierung von Leichen entwickelt. In jede seiner Fasern sind Sporen eines "Unendlichkeitspilzes" eingelassen. Hinzu kommen eine spezielle Einbalsamierungsflüssigkeit und ein "Verwesungs-Make-up". Die Leiche, so die Vision, soll in Biomethangas und sauberen Kompost zersetzt werden. Eine neue Verwertungsmöglichkeit für PET-Wasserflaschen hat der in Berlin lebende Argentinier Miguel Rothschild entworfen. In "Das Haus der Atlantiden" gruppiert er sie zu wuchernden, organisch wirkenden Verklumpungen, die an die glückliche Inselutopie Atlantis des griechischen Philosophen Platon erinnern sollen.

Jede Arbeit erzählt eine eigene Geschichte, die über das Gezeigte hinausführt. Der Spanier Dionisio Gonzáles hat die zum Unesco-Weltnaturerbe zählende Halong-Bucht in Vietnam abgelichtet. Jedoch kehren in seinem Werk "Halong VI" die in den 90er-Jahren von den Behörden zwecks Reinheit des idyllischen Anblicks entfernten Hausbootbewohner digital zurück.

Manche Arbeiten verführen mit dosierter Ironie zum Lachen. Im Adoptionsbüro von Gudrun F. Widlok können sich sozial "verarmte", aber finanziell gut gestellte westliche Singles von "armen" afrikanischen Familien adoptieren lassen und Einsamkeit gegen menschliche Wärme tauschen. Es finden sich viele starke Positionen und nur wenig symbolische, etwa wenn die Brasilianerin Néle Azevedo Eisfiguren auf öffentlichen Treppen der Schmelze überlässt. Es bleibt die bittere Erkenntnis, dass Künstler ohne die Unterstützung der Politik die Welt nicht retten können. Aber sie machen das Unsichtbare sichtbar und schaffen im besten Fall eine neue Wirklichkeit. Der Besuch der Ausstellung ist sehr zu empfehlen.

Zur Nachahmung empfohlen! Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit bis 30. Oktober, Virginia Haus/Überseequartier/HafenCity, U Messberg, Osakaallee 16-18 und 6-8, Di-So 12.00 bis 19.00, Eintritt 5,-/erm. 3,-/ Familien 12,-; www.z-n-e.info