Das NDR Sinfonieorchester und sein neuer Chef Thomas Hengelbrock eröffnen am Freitag die Saison in der Laeiszhalle.

Laeiszhalle. Sollte man es wohlig schaudernd wilde Ehe nennen oder ganz bürgerlich Verlobungszeit? 2009 wurde Thomas Hengelbrock als künftiger Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters ausgerufen. Und je näher sein Amtsantritt zur Saison 2011/12 kam, desto üppiger blühten die anzüglichen Metaphern - lebten die Beteiligten ihre delikate voreheliche Beziehung doch ganz öffentlich in umjubelten Konzerten auf offener Bühne aus.

Jetzt ist das unaussprechliche Verhältnis legalisiert. Am Freitag steigt in der Laeiszhalle zwar keine Hochzeitsfeier, jedoch eine komplette "Opening Night". "Anything goes" überschreibt sich das frohe Ereignis; vom Umfang her ist es gut für mindestens zwei herkömmliche Konzerte.

Alles ist möglich, das gilt aber nicht nur hinsichtlich der dargebotenen Menge an Musik, sondern auch für die Programmwahl. Thomas Hengelbrock schlägt in der Eröffnungsnacht einen Bogen über drei Jahrhunderte. Von der Barockzeit bis in die 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts reicht das Programm der Saisoneröffnung.

Es beginnt mit einer Verbeugung vor dem Hamburg des goldenen 18. Jahrhunderts. Was damals in der Musikwelt Rang und Namen hatte, kam hierher. Carl Philipp Emanuel Bach wirkte hier, Johann Sebastians zweiter Sohn, genannt der "Hamburger Bach"; eine seiner "Hamburger Sinfonien" eröffnet den Abend. Georg Friedrich Händel, der sich einst seine Sporen als Kapellmeister an der Gänsemarktoper verdiente, kommt mit einer Suite aus seinem Opernerstling "Almira" zu Ohr, sein Kollege Georg Philipp Telemann, der nicht nur die Oper leitete, sondern auch Kantor aller fünf Hauptkirchen war, mit einem Konzert für drei Trompeten, Pauken und Orchester.

Im zweiten Konzertteil erklingt die "Eroica" von Ludwig van Beethoven - der übrigens nach der Klavierschule von Carl Philipp Emanuel Bach gelernt hat. Und am späteren Abend unternehmen Hengelbrock und die Musiker sogar noch eine Reise in die Neue Welt, natürlich ganz hanseatisch mit dem Schiff. Es geht in die Karibik zu George Gershwins "Kubanischer Ouvertüre" und weiter an den Broadway mit einer Auswahl aus Cole Porters unsterblicher Musicalkomödie "Anything Goes".

Das reichhaltige Programm ist Programm gleich im doppelten Wortsinn. Der neue Chef mag in Deutschland überwiegend als Spezialist für historische Aufführungspraxis bekannt geworden sein. Schließlich hat er das berühmte Freiburger Barockorchester mitgegründet und später mit seinem Balthasar-Neumann-Chor und Ensemble dazu beigetragen, die Originalklangbewegung von ihrem Müsli-Image zu befreien und im Konzertbetrieb zu etablieren. Doch Hengelbrock selbst weist diese Zuschreibung stets als für ihn unpassend zurück. Er dirigiert auch Zeitgenössisches; so hat er Werke von Jan Müller-Wieland oder Erkki-Sven Tüür uraufgeführt. Als Operndirigent ist er an der Pariser Opéra national so gefragt wie am Teatro Real in Madrid. Und vor wenigen Wochen hat er mit Richard Wagners "Tannhäuser" in der umstrittenen Inszenierung von Sebastian Baumgarten sein Bayreuth-Debüt gegeben (das Abendblatt berichtete).

Ein bunter Hund also? Das träfe den Kern nicht. Denn Hengelbrocks stilistische Bandbreite hat System. Jenseits kleinlicher Sound- und Materialfragen lautet sein Credo: "Ich will Sinn und Gehalt eines Stücks so erschließen, dass es für uns heute stimmig ist." Um der Absicht eines Komponisten auf die Spur zu kommen, liest er Notenhandschriften, Briefe und zeitgenössische Berichte. Was er herausfindet, führt oft zu aufregend ungewohnten Hörerlebnissen, aber nicht notwendig zu purem Schönklang.

Und die Flitterwochen? Die verbringen die Beteiligten, wie es sich für Musiker gehört, auf Tournee. Im November geht's auf Deutschlandreise und nächstes Frühjahr sogar nach China. Nur mit dem eigenen Häuschen müssen sie noch ein wenig warten - der erwartete Eröffnungstermin der Elbphilharmonie pendelt zurzeit bei 2015.

Opening Night: Fr 9.9., 18.30, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz; www.ndrsinfonieorchester.de