Der Schriftsteller Antonio Muñoz Molina erzählt in seinem Historiengemälde “Die Nacht der Erinnerungen“ vom Ende der Spanischen Republik.

Wir sind selbst unsere schlimmsten Feinde, sagt eine Figur in Antonio Muñoz Molinas Roman "Die Nacht der Erinnerungen". Sie ist Zeuge des Bürgerkriegs in Spanien. Sie beobachtet das Trauerspiel der Spanischen Republik, die wie ihre deutsche Schwester ein paar Jahre zuvor von der Linken und von der Rechten zerquetscht wird. Die Kommunisten lassen der Republik keine Luft zum Atmen, die Faschisten erst recht nicht. In Madrid trägt man im Jahr 1936 (da spielt der Roman Molinas) und auch den nachfolgenden eine Pistole bei sich. Die Repräsentanten der sterbenden Republik müssen jederzeit damit rechnen, Opfer eines Attentats zu werden.

Die Ordnung des südwesteuropäischen Landes gerät aus den Fugen, das Militär des Generals Franco putscht: Der Krieg der Ideologien erreicht Spanien. Und Ignacio Abel, den Protagonisten von Muñoz Molinas nun in Deutsch erscheinenden Roman. Einen Familienvater, der seine Frau nicht liebt, der Architekt ist und die Universitätsstadt plant, die sich das modernisierende Spanien gönnt. Ignacio Abel ist der Resonanzkörper, auf den der Erzähler die schweren Wellen jenes fernen Zeitalters prallen lässt. Er ist Repräsentant einer Epoche, in der Europa lichterloh brennt, an allen Ecken und Enden.

Die Hauptfigur des Romans ist erstaunlich unsympathisch

Der Leser trifft Ignacio Abel in einer entscheidenden Phase seines Lebens: Er beginnt eine Affäre mit der Amerikanerin Judith Biely. Sie reißt ihn aus der Tristesse, aus der Langeweile seiner Existenz, in der einzig die Erinnerung an ein in Berlin und Weimar verbrachtes Jahr Trost bringt. Die Geliebten treffen sich heimlich, sie gönnen sich eine Amour fou in der Hitze des Gefechts, wo der politische Terror das Leben aller durcheinanderwirbelt.

Nichts mehr ist in Spanien, wie es war. Auch nicht im Leben der Familie Abel. Die Ehefrau des Architekten, er ist für eine Hauptfigur erstaunlich unsympathisch, kommt hinter die Affäre und versucht sich umzubringen. Worauf die amerikanische Versuchung stiften geht: Judith ist plötzlich verschwunden. Ignacio Abel, der die Familie hinter sich gelassen hat, sucht noch eine Weile im revolutionsversehrten Madrid nach ihr. Dann verschwindet auch er, nach Amerika. Dort trifft die in vielerlei Hinsicht ambivalente Person Abel die Geliebte wieder, für eine Nacht nur.

+++ Hamburger Bestseller +++

Muñoz Molina breitet sein Epos auf 980 Seiten aus; das ist angemessen, ist man zunächst geneigt zu denken. Schließlich malt der 1956 in Andalusien geborene, preisgekrönte Schriftsteller das große Panorama eines früheren Spaniens, in dem sich auch das Schicksal des Abendlands spiegelt: Menschen sind auf der Flucht, Menschen kämpfen, und Hitler und Stalin befeuern den Glaubenskampf mit Waffenlieferungen. Personen treten in "Die Nacht der Erinnerungen" in großer Zahl auf. Unter ihnen finden sich unvergessliche und eindrucksvolle Charaktere wie der deutsch-jüdische Architekt Rossmann, der in Spanien strandet und in den Wirren des Bürgerkriegs stirbt. Oder der (real existierende) republikanische Politiker Juan Negrín, der furchtlos seinen Staat verteidigt. Gegenpol zum lodernden Europa ist das kühle Amerika als Fluchtpunkt nicht nur für Ignacio Abel. "Die Nacht der Erinnerungen" ist ein gewaltiges Historiengemälde, auf dem die Details stimmen.

Der Roman allerdings ist nicht ganz gelungen. Das liegt vor allem an der schieren Länge, die an manchen Stellen durch die mäandernde Erzählweise erzeugt wird. Der Roman kreist bisweilen in verschiedenen Perspektiven um die Ereignisse - allerdings auf wenig kunstvolle Weise. Leerstellen werden durch ungelenke Perspektivwechsel gefüllt. Die Liebesgeschichte bleibt seltsam fad, obwohl sie einen Gutteil der Handlung ausmacht. In schlechten Momenten wirkt der Schauplatz Madrid wie die üppige Kulisse für ein Liebesdrama. Die Entscheidung, die Geschehnisse als Erinnerungsstrom Abels zu schildern (er sitzt in einem Zug, der von New York in einen Ort namens Rhineberg fährt), ist nicht glücklich: Weil es am Ende doch nicht seine Erzählstimme ist, die erzählt. So oder so ist der Roman an vielen Stellen geradezu geschwätzig.

In Spanien war er ein Bestseller. Wohl auch, weil dem Stilisten Muñoz Molina viele schöne Formulierungen aus der Feder fließen. Trotz der zahlreichen Redundanzen bewältigt er seinen Stoff am Ende souverän.

Antonio Muñoz Molina: Die Nacht der Erinnerungen. Übers. v. Willi Zurbrüggen. Deutsche Verlags-Anstalt. 980 S., 29,99 Euro. Für die ausverkaufte Lesung am 15.9., 20 Uhr, im Instituto Cervantes verlosen wir zusammen mit dem Harbour- Front-Festival 2 x 2 Tickets. E-Mail bis zum 8.9., 12 Uhr, an info@harbourfront-hamburg.com . Name und Telefonnummer nicht vergessen.