Das 27-jährige Regietalent Antú Romero Nunes inszeniert Tankred Dorsts “Merlin oder Das wüste Land“ am Thalia

Thalia-Theater. "Wo ist denn Gott? Ist Gott hier?", ruft Parzival-Darsteller Julian Greis und schwingt sein Probenschwert. Mehrfach wird die Szene im Thalia-Theater wiederholt. Der Einsatz der Windmaschine funktioniert nicht richtig. Auch der Ton ist noch nicht so, wie er sein soll. In der ersten Reihe sitzt ein junger Mann mit Strubbelhaar, lässig in T-Shirt, Jeans und Turnschuhen. Auf den ersten Blick würde man Antú Romero Nunes für einen Techniker halten.

Der gerade mal 27-jährige Regisseur gilt als eines der größten Talente seiner Generation. Hausregisseur am Berliner Maxim-Gorki-Theater ist er schon. Am Thalia-Theater darf er nach seinen Erfolgsinszenierungen "Atropa" und dem Dauerbrenner "Invasion" im Thalia Gaußstraße an diesem Sonnabend die Spielzeit eröffnen. Mit dem 1981 uraufgeführten Drama "Merlin oder Das wüste Land" von Tankred Dorst (Mitarbeit Ursula Ehler) hat er sich einen gewaltigen mythologischen Textbrocken ausgesucht. Im Original dauert er acht Stunden. Nunes hat ihn um über die Hälfte reduziert. "Wenn man diesen Sprung macht, dann ist das ein gutes Projekt", sagt er. "Der Text überfordert so oder so."

Dorst schickt den Zauberer Merlin, gespielt von Jörg Pohl, auf Sinnsuche in die Welt. "Merlin ist der Inbegriff des Menschen, eine aufgeklärte Person, die versucht, dem Leben Sinn zu verleihen, obwohl sie glaubt, dass es keinen gibt." Zunächst entwickelt Merlin die Utopie der Tafelrunde, später wird der Gral zum Symbol der Sinnhoffnung. Die unterschiedlichen Welten und Genres unterliegen ständiger Veränderung. Mal ist es die burleske Untergangsvision einer kaputten Gesellschaft, mal metaphysisch aufgeladenes Kabarett. Inklusive Ritterkämpfen und Eifersuchtsdramen. Nunes führt sie alle vor, mal bildarm, mal bildgewaltig mit Zauberwald und Drachen. Am Ende steht ein fast shakespearescher Untergang. "Merlin kann in Zukunft und Vergangenheit sehen. Aber er kann die Widersprüche nicht auflösen", sagt Nunes. "Genauso empfinde ich das Leben im Moment. Wer weiß, wie lange die EU noch steht? Die Hoffnung, über den Fäden unserer Marionetten auch den Puppenspieler zu sehen, führt in den Wahnsinn."

Nunes will erzählen ohne zu täuschen. Der trügerischen Scheinrealität den Schleier entreißen. Lügen und Projektionen entlarven. Er schätzt die verschachtelten Wege des "Inception"-Regisseurs Christopher Nolan. 1983 in Tübingen als Sohn einer chilenischen Sozialpädagogin und eines portugiesischen Psychotherapeuten geboren, ist Nunes eher ein leiser, angenehm reflektierter Zeitgenosse. Auf der Bühne gelingt es ihm, eine ungebremste Sinnlichkeit zu erzeugen. Ihm, dem Skeptiker geht es auch um Empathie, die über eine Distanzierung von Figur und Schauspieler funktioniert.

Das führte an der Berliner Ernst-Busch-Schule zwischen 2005 und 2009 zu Missverständnissen. Unsanft legte man dem Regiestudenten den Abschied nahe. Dann sahen Regisseur Jan Bosse und der Geschäftsführer des Maxim-Gorki-Theaters, Klaus Dörr, seine Arbeiten und bewahrten das Talent vor dem vorzeitigen Vergessen. Seither lieferte Nunes in Berlin, Frankfurt und Hamburg hochgelobte Arbeiten ab. 2010 wurde er von der Zeitschrift "Theater heute" zum Nachwuchsregisseur des Jahres gewählt. "Es ist toll, wenn echtes Spiel entsteht. Spiel bedeutet Leben, und Theater bedeutet Welt", sagt Nunes. "Im besten Fall feiern die Zuschauer mit den Schauspielern gemeinsam das Thema ab."

Merlin oder Das wüste Land Premiere Sa 3.9., 19.30, Thalia-Theater (U/S Jungfernstieg), Alstertor, Karten 13,50 bis 66,- unter T. 32 81 44 44 oder unter www.thalia-theater.de