Zäh war er, der Auftakt zur neuen Sendung von Anne Will. Das Konzept hat einen Konstruktionsfehler

Berlin. Irgendwie muss es den Verantwortlichen schon gedämmert haben, dass es schiefgehen könnte. Jedenfalls hatte NDR-Intendant Lutz Marmor im Vorfeld der ersten neuen "Anne Will"-Sendung gemeint, am Ende würden die Zuschauer entscheiden, ob fünf Talksendungen pro Woche im Ersten zu viel seien. Immerhin, die Premiere haben sich 1,22 Millionen angesehen. Was angesichts der späten Sendezeit - 22.45 Uhr bis Mitternacht - gar nicht so schlecht war. Fragt sich nur, wie viele nach diesem außerordentlich zähen Start am nächsten Mittwoch davon noch übrig sein werden.

Will hatte sich vorgenommen, unter dem knackigen Titel "Wut im Bauch" mit ihren Gästen über die Ursachen der zunehmenden Jugendgewalt zu diskutieren, und zu diesem Zweck den Sternekoch Tim Raue, den Rapper Sido, Bayerns Ex-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, den Publizisten Christian Nürnberger und die Schauspielerin Veronica Ferres eingeladen. Aber während Raue und Sido anfangs noch einigermaßen zum Thema sprachen - Raue ist als Jugendlicher Mitglied einer Berliner Straßengang gewesen, Sido hat sich erst spät von seiner Gewaltverherrlichung verabschiedet -, verlor die Sendung schnell ihre Fasson.

Ferres durfte unwidersprochen behaupten, dass man sich in Westeuropa "eine Bürgerkriegsgeneration" heranzüchte, und Stoiber verkündete allen Ernstes, er habe einst darauf verzichtet, ins Bundeskabinett einzutreten, weil ihm seine Kinder wichtiger gewesen seien. Den Vogel schoss Nürnberger ab, der zum Beweis für seinen Erziehungserfolg den Vegetarismus seiner Kinder anführte.

Angesichts dieses Humbugs wartete man vergebens auf das Eingreifen der Moderatorin, die bis dahin vor allem rhetorische Fragen gestellt hatte ("Sie sind beide in Verhältnissen aufgewachsen, in denen Sie sich nicht geliebt fühlten?"). Andererseits war der Diskussionszusammenhang mit den Jugendkrawallen in England und den brennenden Autos in Berlin zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon perdu.

Fazit: Das neue Konzept - ein Studiogast, in diesem Fall Tim Raue, erhält eine exklusive Viertelstunde, und die anderen kommen nach und nach dazu - ist nicht aufgegangen. Die Talkshow ist nicht intensiver geworden, sie ist auseinandergefallen. Will, die für Günther Jauch ihren Stammplatz am Sonntagabend räumen musste, wäre gut beraten, diesen Konstruktionsfehler schnellstens zu beheben.