Schöner klingt Völkerverständigung selten: Das Jazz-Quartett LebiDerya legt mit “Orientation“ sein wirklich gelungenes Debütalbum vor.

Wer denkt nicht an Jazz, wenn er die Instrumentenkombination Trompete und Saxofon hört? Dem Bebop-Fan kommen gleich Dizzy Gillespie und Charlie Parker in den Sinn. Die großen Quintette des Hardbop tauchen auf, die Namen Miles Davis und John Coltrane, später Miles und Wayne Shorter - bis hin zu den Free-Jazz-Pionieren Ornette Coleman und Don Cherry. Doch im Jazz ist schon lange kaum noch etwas so, wie es damals war. Zuletzt haben ihn die regionalen Folkloren der Welt und die Neue Musik vorangetrieben, in viele Richtungen zugleich.

Noch weiter entfernt vom Jazz-Sound der 50er-, 60er-Jahre als die Mannheimer Band LebiDerya kann man allerdings kaum klingen, obwohl Trompete und Saxofon auch in diesem Quartett die beiden Melodieinstrumente sind. Wobei: Stefan Baumann spielt aus der großen Saxofonfamilie nur das Sopran, noch lieber greift er zur Bassklarinette. Aber die spielt er nicht mit der ekstatischen Improvisationslust eines Eric Dolphy oder David Murray, sondern eher so zart und kultiviert wie ein Orchestermusiker.

Auch Johannes Stange ist keiner dieser jungen Hitzköpfe, unter deren Fingern die Ventile der Trompete zu glühen scheinen. Aber cool und verhangen à la Miles spielt er auch nur ausnahmsweise. Was den LebiDerya-Sound jedoch radikal von dem konventioneller Jazzcombos scheidet, ist die Rhythmusgruppe: Statt mit Klavier, Bass, Schlagzeug entstehen die Improvisationen im Zusammenspiel mit der Kanun genannten orientalischen Zither und der Rahmentrommel.

LebiDerya ist ein türkisches Wort, es heißt "am Rande des Ozeans". Der Rand des Ozeans ist das Land, LebiDerya also der Ort, an dem sich Wasser und Erde berühren. Das poetische Bild bezeichnet die Begegnung zweier Kulturen, auch das ist nicht ungewöhnlich im Jazz. Diese hier findet aber nicht irgendwo in der weiten Welt statt, sondern in Mannheim-Jungbusch, einem Viertel mit hohem Ausländer- und Künstleranteil. Der Kanun-Spieler Muhittin Kemal Temel hat im Jungbusch vor drei Jahren die Orientalische Musikakademie mitbegründet, ein kleines, umtriebiges Institut, in dem Leute aus der Nachbarschaft Trommelbau oder orientalisches Kunsthandwerk lernen oder im klassischen türkischen Chor mitsingen. "LebiDerya ist das Vorzeigekind der Akademie", sagt Temel.

Mannheim hat auch eine Musikhochschule, und es gibt die Pop-Akademie. Bei LebiDerya treffen Studenten und Dozenten aller drei Institute zusammen - auch der Percussionist Joss Turnbull ist studierter Musiker. In Istanbul hat er sich eingehend mit traditioneller türkischer Percussion befasst.

Unter Musikern menschliche Harmonie zu finden ist oft schon schwer genug. Bei LebiDerya treffen auch noch zwei Tonsysteme aufeinander, die fast wie Feuer und Wasser sind, mindestens aber wie Wasser und Erde: das westliche und das Maqam. Im Maqam ist die Oktave nicht in zwölf gleich weit voneinander entfernte Halbtöne geteilt, sondern in jedem Ganzton wohnen gleich neun Mikrointervalle. Kein Wunder, dass bei LebiDerya viel um die gemeinsame Kunst gerangelt wird: "Wir sind ständig mit musikalischem Brückenbau beschäftigt", sagt Baumann.

Die Musik aber ist so intim und brüderlich, dass man sich Kämpfe und Kompromisssuche kaum vorstellen mag. Im Dämmerschein einer Kristalllampe saßen die vier jungen Männer zwischen 24 und 31 Jahren für ihr Debütalbum zehn Tage lang im Tonstudio und erfanden nicht weniger als eine neue Sprache. Selten klang Völkerverständigung so leicht und so schön.

LebiDerya: Orientation (Herzog Records)