Hamburg. Mit einem normalen Konzert hat das, was Der Graf am Sonntag auf der Trabrennbahn Bahrenfeld präsentiert, nur bedingt zu tun. Auftritte von Unheilig sind vielmehr ein Familienausflugsziel mit musikalischer Untermalung. Da gibt es einen Kinderspielplatz für die Kleinen, ein VW-Sondermodell für die Großen und zwei Stunden große Gesten und pathetisches Liedgut für alle zusammen.

Die Verquickung von größtmöglichem Konsens und düsterer Anmutung führt bisweilen zu skurrilen Gegensätzen: Zum Beispiel, wenn über der Bespaßungsecke, in der die Kinder mit Aufsprühtattoos, Videospielen und Klettergerüst unterhalten werden, ein Schild mit der Aufschrift "Das unheilige Kinderland" prangt. Aber die Auflösung von Gegensätzen gehört zum Erfolgsrezept des Grafen. Rein optisch ist Unheilig nach wie vor in der Gothic-Szene verankert. Schwarzer Anzug, Kinnbärtchen und Glatze, Kerzen auf der Bühne, das schindet Eindruck, wirkt unnahbar, mysteriös. Wenn Der Graf aber mit den Damen in der ersten Reihe schäkert, vom Leben auf Tournee erzählt und die Hamburger nach lokalen Sehenswürdigkeiten befragt, ist er ganz nah dran an den mehr als 10 000 Fans.

Musikalisch oszilliert Unheilig zwischen Pop und Neuer Deutscher Härte. Sinnspruchliedlein wie "Geboren um zu leben", "Halt mich" und "Unter deiner Flagge" appellieren an die Gefühlswelt, sie handeln von großer Liebe, Treue, Hoffnung. Auch die beiden neuen Songs, die Teil des nächsten Albums sein werden, schlagen in die gleiche Kerbe: "Ein guter Weg" und "Brenne auf" brillieren mit Zeilen wie "Wenn das Leben wehtut, bist du für mich stark" und "Ich will den Himmel sehen und unter Sternen stehen, dann fühl' ich mich nicht mehr allein". Das kommt gut an, der Applaus ist groß.

Wenn es auf der Bühne lauter wird, wird es im Publikum leiser. Die härteren Nummern, "Abwärts", "Maschine", "Ich gehöre mir" sind bloßes Beiwerk. Vielleicht braucht Der Graf sie zur Selbstvergewisserung, um zu beweisen, dass er mehr kann, als bloß auf die Pathos-Tube zu drücken. Doch der Schockwert bleibt trotz sägender Gitarren und pumpender Bässe aus. Wenn er in Rammsteins Revier wildert, wirkt Unheilig wie ein müder Abklatsch der Krawallrocker.

Ganz bei sich ist Der Graf hingegen, wenn er nach zwei Stunden seine Fans dafür lobt, mit Kind und Kegel hergekommen zu sein und sie schließlich mit einem mütterlichen "Fahrt vorsichtig!" verabschiedet. Machen wir.