Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow spielt am 27. August mit seinem Projekt Phantom/Ghost beim Sommerfestival auf Kampnagel. Ein Porträt

Kampnagel. Der dunkelblaue Mantel sitzt locker. Darunter ein helles Hemd zur Jeans. Schwarze Lederschuhe. Ein Halstuch mit Anker darauf. Als Dirk von Lowtzow das Café im Berliner Stadtteil Kreuzberg betritt, wird schnell deutlich, dass hier einer nicht auf marktschreierische Zeichen setzt. Höchstens auf feine Distinktion. Seinem Gegenüber begegnet er herzlich, fast ein wenig aufgekratzt. Zur Begrüßung reicht er beide Hände und lacht.

Von Lowtzows Erscheinen an diesem Vormittag, diese gepflegte, aber nicht verschlossene Zurückhaltung, passt zu dem Satz, den der 40-Jährige später im Gespräch sagen wird. "Ich bin leider weiß, hetero und männlich. Mein Leben ist nicht so aufregend, dass ich davon in meinen Liedern erzählen müsste", erklärt er beim Kaffee.

Die Aussage mag überraschen bei einem, der vor allem in den frühen Jahren seiner Rockband Tocotronic mit stark sloganhaften Songs zur Identifikationsfigur wurde. Doch wer mit dem Gitarristen und Sänger über sein Dichten und Denken spricht, dem zeigt sich eine Person, die sich aus vielen Stimmen zusammensetzt. Kein Pochen auf das Authentische, Originäre. Stattdessen sieht sich von Lowtzow eher als Auftragsarbeiter. Auf Deutsch für Tocotronic, auf Englisch für Phantom/Ghost, sein Projekt mit dem Hamburger Musiker Thies Mynther, mit dem er morgen auf Kampnagel zu erleben ist.

"Viele Leute reagieren wahnsinnig empfindlich darauf, wenn ihnen die Illusion genommen wird, dass man sich als Künstler mit Haut und Haaren in das, was man macht, hineinschreibt", sagt von Lowtzow. Doch er selbst fühle sich eher wie ein Durchlauferhitzer, der kulturelle Einflüsse aufnimmt, filtert und für seine Kunst aufbrüht. Ein Stimmenimitator, ein Weiterverwurster.

"Man ist ja permanent porös", sagt er über diese Durchlässigkeit. "Mir geht es nicht um Biografisches, um meine echten, wahren Gefühle. Das finde ich belästigend, das möchte ich niemandem aufdrängen", sagt von Lowtzow. Dann lässt er lieber "das Nihilistische, Punkige" eines Thomas Bernhard durch sich sprechen, wie auf den ersten Tocotronic-Platten Mitte der 90er. Bei dem jüngsten Phantom/Ghost-Album "Thrown Out Of Drama School" wiederum nähern sich Mynther und er der Gattung des Musicals an, wie sie der britische Schauspieler und Komponist Noël Peirce Coward in den 20er- bis 50er-Jahren verkörperte. Ihre Lieder aus Gesang und Piano gestalten sie zu Pastiches, zu hochachtungsvollen Verneigungen vor dem Original.

"Diesem Kunstliedmäßigen wohnt zugleich ein extremer Witz inne, vielleicht vergleichbar mit diesem Hape-Kerkeling-Sketch mit dem 'Hurz'", sagt von Lowtzow und verfällt kurz in ein Kichern. So, wie er da sitzt, auf einem Sofa, schlank, das grau melierte Haar grob gescheitelt, ließe sich sofort das zeitlose Porträt eines Bohemiens fotografieren.

Für Abbilder eines Hipsters hingegen ist er ungeeignet. Da erinnert von Lowtzow eher schon an ein Pelztier. Denn aus seinem Gesicht kann er mit einer gewissen Knopfäugigkeit gucken. Vielleicht ist diese Vorstellung aber auch nur davon geprägt, dass Jan Müller, Arne Zank und er sich für ein Tocotronic-Artwork einst als Comic-Hunde darstellen ließen. Oder waren es Hasen? Wer seine Identität offenhält, lädt ein zur Projektion. Ein Angebot.

Genre-Spießigkeit ist von Lowtzow fremd. Da verwundert es nicht, dass in Berlin, wo er nach Stationen in Freiburg und Hamburg lebt, nicht nur Musiker zu seinem Umfeld gehören, sondern auch bildende Künstler. Mit René Pollesch verbindet ihn ebenfalls eine Freundschaft. Jener Regisseur, der in seinen Stücken boulevardeske Elemente mit Geschlechterstudien und Sozialtheorien verknüpft. Einer also, der das Durchlauferhitzen perfektioniert hat.

"Man darf ruhig nachmachen und klauen, das Eigene kommt sowieso durch", sagt von Lowtzow. All die Figuren, Filme, Bücher, Malereien, Musiken und Inszenierungen, die in ihm ein vielstimmiges Summen erzeugen, führten manchmal zu einem Denkanstoß, manchmal zu kompletten Romanvertonungen, erzählt er. Und gebündelt werden sie letztlich in seinem Gesang, der tief ist, der das Theatrale betont. Von Lowtzow hat seine Stimme nicht trainiert. Ebenso, wie er auch beim Texten ein "gewisses Maß an Unfleiß" walten lassen möchte. Eine positive Langeweile, eine Lässigkeit und eine Schwebe, die Ideen befördert.

"Ich habe natürlich auch Angst, dass das irgendwann versiegt und ich in Routine verfalle. Daher füttere ich mich sehr stark, ich bin süchtig nach dem Konsum von kulturellen Inhalten", sagt er. Doch der Durchlauferhitzer von Lowtzow sendet nicht nur Songs, sondern ab und an auch reinen Text. Für die Zeitschrift "Texte zur Kunst" sitzt er im redaktionellen Beirat und schreibt Artikel, etwa über den Maler Jonathan Meese. "Für mich ist das immer sehr beglückend, mich in die Denkwelten bildender Künstler einzufinden, das hat mich schon früh interessiert", sagt er.

Beim Sprechen wirbeln seine Hände verspielt. Politiker oder Geschäftsleute würden so nie gestikulieren, so ziellos. Ein Prinzip, das von Lowtzow auch bei der Bühnen-Performance anwendet. Eine Rampensau ist er, muss er sein. Aber mitunter steht er wie ein Fragezeichen da. Im Zweifel für den Zweifel. "Sich im Klang zu verlieren finde ich super wichtig. Aber wir versuchen, so etwas Erdiges, Männliches, Kumpelhaftes zu vermeiden, wie man es bei vielen Indierock-Bands sieht", sagt er.

Man darf sich von Lowtzow als erfüllten Künstler vorstellen. Die Treue des Publikums sowie die fruchtbare "Homo-Ehe", die er mit Tocotronic und auch bei Phantom/Ghost seit Jahren führe, das alles bezeichnet er als "großes Glück". Ein Glück, dessen Motto von Lowtzow auf der aktuellen Tocotronic-Platte "Schall & Wahn" selbst formuliert hat: "Bitte oszillieren Sie."

Phantom/Ghost Sa 27.8., 21.00, 14,- (Vvk.), 16,- (Ak.); Internationales Sommerfestival auf Kampnagel (Bus 172, 173), Jarrestr. 20; www.kampnagel.de