Wenn Unheilig am 28. August zum zweiten Mal auf der Bahrenfelder Trabrennbahn auftritt, ist das Publikum bunt gemischt. Ein Konsens-Künstler.

Hamburg. Als Unheilig im Oktober 2010 bei "Willkommen bei Carmen Nebel" auftrat, war es der Schwarzen Szene längst zu bunt geworden. Bereits acht Monate zuvor hatte sich der 1500 Mitglieder starke, offizielle Unheilige Fanklub aufgelöst, um "der nächsten Generation an Fans Platz zu machen", wie die Gründer mehrdeutig mitteilten.

Bei den ausverkauften Konzerten von Unheilig im April 2010 im Docks war die nächste Generation da. Fans, die Unheilig aus dem Formatradio kannten oder von TV-Auftritten bei "The Dome" und "Big Brother". Fans, die den Grafen kaum auf dem Leipziger Wave-Gotik-Treffen kennengelernt haben dürften.

Seit 1992 versammeln sich in Leipzig jährlich die Anhänger der Schwarzen Szene zum gemeinsamen Besuch von Konzerten, Filmen und Lesungen, wobei diese Subkultur so (dunkel)bunt ist wie wenige andere. Romantik, Agonie, Melancholie, Okkultismus oder Fetischismus sind nur einige bemühte Stichworte, um die Wünsche, Träume und Ansichten der Unbeschreiblichen zusammenzufassen. Das Gleiche gilt auch für ihre Musik. Dark Wave, EBM, Gothic Metal, Horror-Punk, Neofolk, Industrial. Es klingt so heterogen wie es aussieht.

Eine Gemeinsamkeit ist, dass man sich betont extrovertiert zeigt, um von "den Bunten", von außen, als äußerst außergewöhnlich wahrgenommen zu werden. Tagesaktive Vampire, "Batcaver" genannte Düsterpunker, lebende Comicfiguren der "Visual Kei"-Gemeinde, Viktorianische Ladys, Weimarer Dandys, BDSM-Lustsklaven, Mittelalter-Enthusiasten, apokalyptische Techno-Reiter und viele weitere Zeitgeister versorgen Soziologen, Internetforen und Mainstream-Medien mit immer neuem Diskussionsstoff. Was früher schlicht ein "Grufti" war, ist längst bei aller Schwärze Teil einer Grauzone.

Nur eines eint die dunkelbunte Szene nach wie vor: das Selbstverständnis als Gegenentwurf und Gegenkultur. Schon Beweise der eigenen Popularität wie die mittlerweile 20 000 Besucher bei den Wave-Gotik-Treffen in Leipzig oder bei den M'era-Luna-Festivals in Hildesheim gelten als Zeichen des Ausverkaufs von Idealen, seien sie noch so vage und ungeschrieben.

Wie jede Subkultur ist die Schwarze Szene eine Gemeinschaft, der durch freiwillige Selbstausgrenzung nach außen ein Selbstverständnis durch die Vereinigung in das Innen gelingt. Musik und Kleidung sind auffälligste Merkmale der Identifikation, aber letztendlich sind es nur attraktive Stilmittel. Den Lebensstil aber macht die Haltung aus. Und die Anti-Haltung.

Wer freiwillig oder unfreiwillig aus der Selbstausgrenzung ausbricht und seine vermeintliche (Anti-)Haltung aufgibt, ist nicht mehr Teil der Gegenkultur. Und alles, was nicht Gegenkultur ist, ist Konsens. Und Konsens ist Kommerz. Das kanadische Industrial-Elektro-Projekt Front Line Assembly zum Beispiel ist mit seinem avantgardistischen Anspruch des steten Neuerfindens von teils komplexen, teils eingängigen Songstrukturen über jeden Szenezweifel erhaben. Auch wenn man die Musik nicht mag: Sie sind die Guten. Doch schon Die Ärzte, die ja auch mal den Punk "verraten" haben sollen, wussten: "Das Böse siegt immer."

Der Graf, mehrfach Gast beim Wave-Gotik-Treffen, hat die Geister, die ihn einst riefen, losgelassen. Unheilig ist so dermaßen Konsens geworden, dass selbst ein Sondermodell des deutschen Konsensautos VW Golf diesen Namen trägt. Ist dem Grafen nichts mehr heilig? Wer weiß. Letztendlich hat er nur getan, was ein Sänger, Künstler oder Autor dürfen muss: das, was er will. Eine Form von großer Freiheit, ohne die es auch die Schwarze Szene nicht geben würde.

Front Line Assembly Di 30.8., 21.00, Logo (Metrobus 4/5), Grindelallee 5, Vvk. 22,80

Unheilig So 28.8., 17.30, Trabrennbahn (Metrobus 3), Luruper Chaussee 30, Karten zu 40,60 im Vorverkauf; www.unheilig.com