Mein Vater dachte lange, er sei Italiener. So wie wir aus diesem Grunde alle dachten, wir seien Italiener. In unserer Wohnung war alles grün, weiß und rot, stand voller Madonnen. Unterhemden, Goldkettchen trockneten wir vorm Fenster, bekreuzigten uns, klang es irgendwo auch nur ein wenig unanständig. Ständig gab es Spaghetti, die über der Heizung zum Trocknen gehangen hatten.

Heute kommt es mir spanisch vor, wie wir überhaupt darauf kamen. Aber wenn Ihnen die Eltern sagen, Sie seien Italiener, dann hinterfragen Sie das nicht, oder?! Hinzu kommt, dass wir alle sehr italienisch behaart sind. Auch Mutter. Und diese dunklen, leidenschaftlichen Augen, die schon nach Dolce Vita aussehen.

Jeden Sommer fuhren wir zu den echten Italienern, besuchten Verwandte, die wir nicht hatten. Liefen durch die Straßen Roms und redeten ein Italienisch, das kaum ein Italiener verstand. Vater hatte es uns beigebracht. Eine Art Singsang, laut und mit den Händen gesprochen. In den Trattorias waren wir uns der misstrauischen Blicke durchaus bewusst. Gerade wenn Vater zu singen begann, "Felicita" oder "Vamos alla playa".

In Deutschland dagegen fiel es leicht, italienisch zu wirken. Niemand zweifelte an unseren Wurzeln - der Name Amtsberg stamme vom italienischen Ambergo, das so viel wie Schamhügel heißt, sagten wir.

Groß war die Enttäuschung, als wir letztes Jahr die Wahrheit erfuhren. Es war wohl mein Urururgroßvater, der dieses Gerücht in die Welt setzte und damit begann, künstlich italienische Wurzeln in unseren Stammbaum zu flechten. Erst ein Gemälde, das die Geburt eines Vorfahren auf dem Rysy, dem höchsten Berg Polens, zeigt, machte alles zunichte.

Seitdem sind wir orientierungslos. Wissen nicht, woher wir kommen, noch, wohin wir gehen. Komm ein bisschen mit nach Italien, sagt mein Vater immer, und dann sitzen wir im Engelsaal und er erzählt von einer Heimat, die wir nie besessen haben.