Autor Michael Weins stellt am Donnerstag in der Hamburger Botschaft seinen neuen Roman “Lazyboy“ vor - über ein Leben hin zu Parallelwelten

Hamburger Botschaft. „Nicht jede Tür führt in den Raum dahinter“, behauptet Michael Weins. Was unglaubwürdig, schräg und abgehoben klingt, wird bei der Lektüre seines neuen Romans „Lazyboy“ zunehmend plausibel. Mit jeder ausgelesenen Seite blättert man sich weiter in die Realität der Hauptfigur hinein. Lazyboy ist nicht nur Namensgeber des Werkes, sondern als Ich-Erzähler und Hamburger auch die wichtigste Identifikationsfigur. Der Leser nimmt Teil an seinen Plänen und guten Vorsätzen, sieht hilflos zu, wie der „faule Junge“ scheitert, wie er von seinen Trieben und primären Bedürfnissen besiegt wird und immer wieder durch die Gesetze der Räumlichkeit fällt. Denn manche Türen führen den Mittdreißiger nicht in den Nebenraum, sondern an ganz andere Orte.

Diese mysteriöse Eigenschaft macht ihn noch alltagsuntauglicher als er es sowieso schon ist. Heiner Boie – so heißt Lazyboy eigentlich – ist „Berufsjugendlicher“. Will meinen: Er ist unfähig, Verantwortung zu übernehmen und reagiert panisch auf den Gedanken an so etwas wie Bindung. Unbestimmt dahin treibend durch Leben und Alltag, so fühlt der Antiheld sich am wohlsten, obgleich er weiß, dass das idealtypische Bild eines zielorientierten jungen Mannes ganz anders aussieht.

Dieses reale Dilemma, das vor allem Lazyboys Umfeld als solches empfindet, verwebt Weins durch das Motiv des Türenspringens mit einer Welt jenseits aller naturwissenschaftlichen Gesetze. Aus der unverstandenen Lazyboy-Existenz an multiplen Orten kristallisiert sich eine Parallelwelt heraus, die für den Protagonisten zur Obsession, Konstante und (Lebens-)Aufgabe wird. Die Vermischung der beiden Welten erfährt mit jedem der drei Buchteile (erste, zweite und dritte Tür) eine Steigerung. Bei der Lektüre zwingt das zum Zurückblättern und Nachlesen – bis die Erkenntnis siegt, dass selbst der Protagonist nicht immer weiß, in welcher seiner Welten er gerade herumtreibt. Mit diesen dicht verstrickten Realitätsebenen mag Weins sich an den eingangs zitierten japanischen Autor Haruki Murakami anlehnen: „Ich selbst – wer ist das?“

Ähnlich philosophisch, aber auf eine komischere und leichtere Art, legt der Hamburger Schriftsteller seinen stilistisch diversen Roman stellenweise an. Er spickt den Text mit Zeilen, an denen Auge und Sinn hängen bleiben, verweilen, genießen. Zwischen vielen monologischen Textpassagen, in denen ein irgendwie schräger Blick auf die Welt und eine selbstreflexive, trockene Komik dominieren, haben diese poetischen Passagen einen besonderen Glanz und vermitteln die verhüllte lazyboy’sche Gefühlswelt mit einer starken Bildlichkeit und Intensität.

„Es fühlte sich an, als ging ich durch Gelee“, sagt der Protagonist über den entscheidenden Moment auf der Türschwelle. „Als wäre ich kurz, einen schönen, gedehnten Moment lang, zu Gast im transparenten Götterspeisehaus einer Nacktschnecke, in dem die Zeit langsamer tickt, zäh und schwer tropft sie wie dickflüssiger Sirup verhalten ins Nichts.“ – Dabei spielt die Zeit für Lazyboys Türensyndrom eigentlich gar keine Rolle. Zumindest führen ihn seine unfreiwilligen Reisen nicht – wie es etwa Audrey Niffenegger in „Die Frau des Zeitreisenden“ imaginiert – auf eine andere temporäre Ebene. Nur der Ort ändert sich, aber die Gegenwart bleibt. Für Lazyboy ist es eine Gegenwart, in der ihn außer einem fremden 13-jährigen Mädchen niemand versteht, nicht einmal seine Verlobte oder seine Psychotherapeutin. Eine Gegenwart, in der er seine Wahrheit mit Lügen verdecken muss, um nicht gänzlich für verrückt erklärt zu werden.

Weins ist Experte auf dem Gebiet, das er literarisch auf die Couch legt. Der gebürtige Kölner, der seit seinem dritten Lebensjahr in Hamburg lebt und 2000 und 2005 den städtischen Förderpreis für Literatur erhalten hat, arbeitet im wahren Leben als Psychologe. Nachdem der Autor („Delfinarium“, „Goldener Reiter“) am Sonntag bei der Lesebühne Hamburger Ziegel einen Vorgeschmack auf seinen neuen Roman gegeben hat, stellt er „Lazyboy“ am Donnerstagabend in der Hamburger Botschaft offiziell vor. Seine Ambition, so schreibt der 40-Jährige auf seiner Internetpräsenz, ist es, Bücher zu hinterlassen, „die für andere das sind, was Lese-Erlebnisse für mich waren. Treppen. Vehikel. Spiegel. Vergrößerungsgläser. Drogen. Fluggeräte. Liebevolle Hände. Abenteuer. Schönheitsfarmen.“ Weins’ Lazyboy würde diese Liste mit Sicherheit um einen wesentlichen Aspekt ergänzen: Türen.

Michael Weins liest aus "Lazyboy " Do 25.8., 20.30, Hamburger Botschaft (U/S Sternschanze/U Feldstraße), Sternstr. 67, Eintritt: 5,-; www.michaelweins.de