Das Theaterprojekt “Parlez!“ der Geheimagentur beschäftigt sich mit aktuellen Problemen der Piraterie im Spiegel der Seeräuber-Romantik

Kampnagel. Kinder kennen und lieben Piratengeschichten. Es sind die "Märchen", aus denen sie etwas fürs Leben lernen sollen. Doch die Romantik-Fantasien aus Büchern, Comics und Filmen haben nichts mit der Situation von Piraten heute zu tun. Auf den Meeren, die Gemeingut sind, geht es um das harte Geschäft - und das nackte Überleben. Der "Piraten-Prozess" gegen zehn der Seeräuberei angeklagte junge Somalier zieht sich seit eineinhalb Jahren am Hamburger Landgericht hin. Die Hansestadt ist auch im Gespräch als Standort für einen internationalen Gerichtshof zur Strafverfolgung von Piraten.

Dennoch: Warum sollen Jugendliche nicht mit den Seeräuber-Geschichten auch etwas über die Wirklichkeit lernen? Beim Forschungstheater für Kinder und Jugendliche im Fundus-Theater, das Sibylle Peters seit dem Jahr 2005 leitet, ergaben sich Fragen über die medienpräsenten Piraten und Wünsche, mal mit einem echten sprechen zu können.

Und das Hamburger Künstlerkollektiv Geheimagentur besitzt zwar keine Wunderlampe wie Aladin; aber es versucht mit seinen Mitteln, diesen Wunsch wahr zu machen. Ein Jahr ist es her, dass der mutige "Agenten"-Clan - verständlicherweise schützt er seine verschworenen Mitglieder namentlich - sich in die Koproduktion mit dem Internationalen Sommerfestival Hamburg und den Wiener Festwochen stürzte. Heute Abend präsentiert er mit fünf Kindern zwischen 9 und 13 Jahren und Performern die Uraufführung von "Parlez! Echte Piraten. Recherchen in der Höhle des Zackenbarsches".

Im Januar und Juni fuhren zwei "Geheimagenten" mit den gefilmten Fragen der Kinder nach Nairobi, um sie dort von sechs ehemaligen Piraten auf freiem Fuß beantworten zu lassen. Sie haben sich gegen die Ausbeutung der Fischbestände durch westliche Fang-Konzerne und den ins Meer verklappten Giftmüll gewehrt, wofür die Kriegsherren in Somalia Lizenzen vergeben. Denn es gibt weder eine Regierung noch Gesetze im von Bürgerkrieg, Dürre und Hungersnot heimgesuchten Landstrich am Horn von Afrika.

"Wir waren naiv", gibt ein "Geheimagent" zu. "Es ist eine David-und-Goliath-Situation, der aussichtslose Kampf von kleinen Fischerbooten gegen bewaffnete Containerriesen." Das brutale Geschäft setze sich auf Kosten der Ärmsten durch, trotz - oder gerade wegen - der seit 2008 existierenden Atalanta-Mission der EU zum Schutz humanitärer Hilfslieferungen.

Während der Reise konnten sich die "Geheimagenten" in Nairobi mithilfe des Übersetzers Mohamed Agana Farah durchschlagen. Der Somalier mit kenianischem Pass, der die Nichtregierungsorganisation Hornlink zur landwirtschaftlichen und gesundheitlichen Versorgung der Region leitet, ist auch Gast auf der Bühne, ebenso wie der Flüchtling Mustafa Omar. Beide haben zwar nichts mit Piraterie zu tun, spielen aber für die "Geheimagenten" die unentbehrliche Rolle kundiger Vermittlern und Zeitzeugen.

Zwischen zwei Zuschauertribünen inszeniert die Geheimagentur eine "unwahrscheinliche Versammlung", eine Art Forum, bei dem sich ehemalige Piraten und die kleinen Möchtegern-Seeräuber begegnen - und miteinander reden. Denn das ist alte Piratenregel: Geraten zwei in Konflikt miteinander, bedeutet der Ruf "Parlez!", die Kampfhandlungen einzustellen und statt der Waffen Worte sprechen zu lassen für einen friedlichen Kompromiss. Daran möchten die "Geheimagenten" mit ihrer Multimedia-Performance erinnern. Sie bringen Statements und Vorträge zur Situation in Somalia zusammen mit den Fragen der Kinder und Videoantworten der Piraten sowie Schatzkarten, Spielszenen und Musik. Lösungen können die "Geheimagenten" nicht anbieten, aber zum Nachdenken anregen. "Wir möchten Bewusstsein für die oft einseitig dargestellte Problematik der Piraterie wecken und auch die Zuschauer zu direkter Hilfe für die Hungersnot bewegen." Denn zum Konzept des Kollektivs gehört es stets, mit seiner Kunst in die Wirklichkeit einzugreifen und sie durch konkretes Handeln möglichst zu verändern.

Parlez! Echte Piraten. Recherchen in der Höhle des Zackenbarsches Mi 24.- Fr 26.8., 20.00, Kampnagel (U Borgweg, Bus 172/173 Jarrestr.), Jarrestr. 20, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de