Konstantin Graudus spielt in Dürrenmatts “Die Physiker“ am Ernst-Deutsch-Theater einen Wissenschaftler, der sich für Einstein hält.

Hamburg. Als die Intendanz des Ernst-Deutsch-Theaters den etwas angestaubten Klassiker "Die Physiker" von Friedrich Dürrenmatt auf den Spielplan setzte, war die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima noch in weiter Ferne. Im Angesicht des verheerenden Unfalles wird über den Sinn und die Fragwürdigkeit der Nutzung bestimmter Technologien heute wieder neu nachgedacht und öffentlich gestritten.

Zur Zeit der Uraufführung des Stückes, Anfang der 60er-Jahre, brandete die Diskussion um die Atombombe hoch. Ost und West standen sich als unversöhnliche Lager im Kalten Krieg gegenüber. Jahrzehntelang blieb das Stück Pflichtlektüre in der Schule. "Ich habe erst jetzt festgestellt, wie viele Worte ich damals überlesen habe", erzählt Konstantin Graudus. Der Hamburger Mime probt derzeit unter der Regie von Wolf-Dietrich Sprenger die Rolle des Einstein für die Premiere der "Physiker" an diesem Donnerstag. Schauspieler und Regisseur kennen sich seit mehr als 20 Jahren.

Den 46-Jährigen, der einen Resthof in der Nähe des Kohlekraftwerks Moorburg bewohnt, beschäftigt das Thema. "Ich verstehe den Text heute ganz anders. Dinge, die jemand einmal gedacht hat, können auch von anderen gedacht werden", sagt er. "Da steckt ja so viel Wahrheit drin." Auch wenn sich eine Gesellschaft von einer Technologie verabschiedet, bleibt sie in der Welt. Und irgendjemand wird sie nutzen.

Dürrenmatt führt in seiner Komödie über Fragen der Ethik in der Wissenschaft drei Physiker, die sich als Geisteskranke ausgeben, in einer privaten Irrenanstalt zusammen. Die von Graudus gespielte Figur hält sich für Albert Einstein, eine weitere meint, sie wäre Isaac Newton, und der Dritte, Johann Wilhelm Möbius, behauptet, ihm erscheine König Salomo.

In Wirklichkeit hat Möbius mit der Weltformel eine Entdeckung gemacht, die das Potenzial hat, die Welt zu vernichten. Um das Schlimmste zu verhindern, wählte er einen extremen Weg. "Er geht in die selbst verordnete Verbannung. Ins Irrenhaus, weil man nur dort noch frei ist und noch denken kann. Da wird ja keiner ernst genommen", sagt Konstantin Graudus. Newton und Einstein versuchen als Agenten rivalisierender Geheimdienste, an das geheime Wissen zu gelangen. Auch als Möbius seine Formel vernichtet, hält das den verheerenden Gang der Ereignisse nicht auf. Denn die Formel ist längst in falschen Händen. Die Inszenierung konzentriert sich auf den Text und die Konflikte zwischen den Figuren. Die Szenerie beschränkt sich dabei aufs Wesentliche.

Nachdem Graudus sich jahrelang auf Film und Fernsehen konzentriert hatte, begegnet man ihm wieder regelmäßig auf Hamburgs Bühnen, an der Komödie Winterhuder Fährhaus in "Der Gast" oder am Ernst-Deutsch-Theater in "Verdammt lange her".

In der Ära Michael Bogdanov zwischen 1988 und 1992 gehörte der gebürtige Gütersloher dem Ensemble des Schauspielhauses an. Danach kehrte er dem Theater den Rücken. Diagnose: leer gespielt. "Ich habe ja so früh angefangen. Noch auf der Hochschule durfte ich einspringen in der 'Hamletmaschine' von Robert Wilson am Thalia-Theater. Bei dem durfte ja nicht in der falschen Sekunde geatmet werden", erzählt Graudus schaudernd. "Ich war der Mann, der auf einem Bein balanciert. Sie hatten mich gold angepinselt. Ich schwitzte furchtbar. Es fing an zu jucken und zwickte in den Ohren. Ich sagte, ich spiele das nie wieder, und dann habe ich es doch getan und dabei ist es bis heute geblieben."

Noch immer schwärmt er von den Zeiten am Schauspielhaus, in denen er neben Ulrich Wildgruber oder Monica Bleibtreu auf der Bühne stand. "Es ist einfach das allerschönste Haus. Da spielen zu dürfen saugt einem das Leben aus den Knochen und in die Figur hinein."

In den folgenden Jahrzehnten nahm er eine Phase der Verdrossenheit am Theater wahr, die er jedoch nicht dem modernen Regietheater ankreidet. "Die Begeisterungsfähigkeit hat gelitten", sagt Graudus. Er wandte sich dem Fernsehen zu. Kurioserweise erlangte er ausgerechnet mit dem trashigen Kurzfilm "Staplerfahrer Klaus - Der erste Arbeitstag" (2000) weithin Bekanntheit. Noch heute ist der Film vor allem im Internet ein Renner.

"Mein Vorteil ist, dass ich wenig kann", sagt Konstantin Graudus. "Aber Dinge, die ich nicht kann, sind mir heilig." Nicht zu den hochgewachsenen Schauspielern zu gehören verlangte ihm ab, höher zu springen als manch anderer, um die gleichen Früchte zu erreichen. Seine Fähigkeit zur Selbstironie erlaubt es ihm, auch über die Kuriositäten seines Berufes zu lachen. "Ich habe in Filmen mitgespielt, da wurde das Bühnenbild kleiner gemacht oder meine Partnerin eingebuddelt, damit die Einstellung stimmte. Da nicht rot zu werden, immer stark und gleichzeitig durchlässig zu sein - das ist schon eine Aufgabe." Am Theater schätzt er, dass man anders als beim Film mehr Kontrolle über das Ergebnis hat.

Graudus spielte im "Tatort" genauso wie in "Der Bergdoktor". Er synchronisiert Spielfilme genauso wie Computerspiele. "Schauspielerei hat ja immer die gleiche Wurzel. Ich glaube, dass man alles ernst nehmen muss, egal ob man ermittelnder Beamter beim 'Doppelten Einsatz' ist oder in einer Komödie spielt." In diesem Jahr gehört Konstantin Graudus erst einmal ganz dem Theater. Auf Außendrehs hat er derzeit nämlich keine Lust. "Es regnet mir zu viel."

Die Physiker Premiere Do 25.8., 20.00, Ernst-Deutsch-Theater (U Mundsburg), Friedrich-Schütter-Platz 1, Karten 18,- bis 34,- unter T. 22 70 14 20; www.ernst-deutsch-theater.de