Der Schriftsteller David Foenkinos hat mit “Nathalie küsst“ ein modernes Märchen geschrieben

Den Deutschen gehe die Leichtigkeit ab, heißt es allenthalben. Die Franzosen dagegen! Ja, der Franzose verstehe zu leben, zu lieben - und graziös zu schreiben. Wie Anna Gavalda, wie Eric Emanuel Schmitt, Muriel Barbery und wie all jene heißen, die unsere Sehnsucht nach französischem Savoir-vivre bedienen mit fein gezeichneten Figuren und Geschichten ohne Anspruch auf besonderen Tiefgang.

Klar, dass Deutsche das mit der Leichtigkeit nicht gerne hören. Aber dass darin Wahrheit steckt, geht jedem auf, der das neue Buch von David Foenkinos zur Hand nimmt. "Nathalie küsst" heißt es lapidar, und natürlich ist eine zarte, dunkelhaarige Schönheit auf dem Buchdeckel zu sehen, die von ferne auf den Eiffelturm blickt, worauf auch sonst. Der kommt zwar im Buch nicht vor, aber sei's drum, als Emblem für Foenkinos' Hymne auf das französische Lebensgefühl taugt er allemal.

Besagte Nathalie ist umgeben von Männern, die ihr verfallen sind, die sie aber kaum wahrnimmt. Nathalie liebt nämlich ihren Mann François. Die beiden führen die ideale Ehe. Als François beim Joggen von einem Auto überfahren wird, spinnt sich Nathalie für Jahre in einen Kokon aus Trauer und Schuldgefühlen; auch nachdem sie ihre Arbeit in einem schwedischen Unternehmen wieder aufgenommen hat, funktioniert sie nur. Doch eines Tages folgt sie einem Impuls und tut etwas, das ihre ganze Firma in ein Gefühls- und Intrigenchaos stürzt: Sie küsst. Nämlich ihren Mitarbeiter Markus, einen Schweden.

Es kommt auf das richtige Timing an. Markus hat Glück in dieser Beziehung; jede noch so unbeholfene Bemerkung deuten die französischen Kollegen als schwedische Coolness. Nur so können sie sich erklären, dass Markus ausgerechnet die Traumfrau Nathalie für sich interessieren kann. Was dabei an Missverständnissen und Komplexen entsteht, fasst der Autor in knappe und oft sehr komische Worte. Nathalies erschütterungsfreie Jugend etwa fasst er eingangs zusammen mit "sie hielt sich an die Fußgängerüberwege" - eine Formulierung, kaum mehr als ein Bleistiftstrich, die wundersamerweise völlig ausreicht. Erst später wird der Leser den Zusammenhang mit François' Unfalltod begreifen. Klug und duftig ist das Buch komponiert, Foenkinos feiert in seinen Aperçus die Schönheit, die das genaue Hinsehen schenkt. Und holt seine Heldin damit ins Leben zurück. Eine charmantere Rettung kann man sich nicht wünschen.

David Foenkinos: "Nathalie küsst". Ü.: Christan Kolb. C.H. Beck, 239 S., 16,95 Euro