Im Münchner “Polizeiruf 110“, der von Dominik Graf inszeniert wurde, liefert Matthias Brandt ein sensationelles Kommissar-Debüt.

Berlin. Das zweite "n" in Hanns, das war seine Idee. Hans von Meuffels mit nur einem "n" im Vornamen des neuen "Polizeiruf 110"-Kommissars, das klang ihm noch nicht adlig genug, nicht fremdelnd genug. Diesen spröden Neuen mit seinem heizdeckenfarbenen Trenchcoat hat es aus Bremen an die Isar verschlagen, in die Bussi- und Adabei-Metropole. Da geht also noch einiges beim Einheimischwerden. Vor Jahren hat Matthias Brandt eine Rolle als Killer angenommen, weil ihn der Regisseur damit köderte, er dürfe ein prolliges Goldkettchen tragen. Solche Liebe zum stimmigen Detail, zum Widerhaken, der sich tief ins Gemüt des Betrachters bohrt, bereitet Brandt ein Vergnügen, das schon diebisch ist.

Großspurig und breitbeinig daherkommen können viele in seiner Branche. Brandt ist mit seinem einmaligen Dutzendgesicht mehr der geduldige Feinmechaniker, der stille Beobachter für die packende Momentaufnahme, der Zweifler. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht, sagen seine Charaktere einem meistens.

Nur manchmal sagen sie es einem sogar mit Worten.

Tiefe Wasser wie er sind garantiert nicht harmlos oder gar unkompliziert, aber lieber still. Was aber um Himmels willen nicht heißt, dass Matthias Brandt ständig nur der wolkenverhangene Tragöde sein mag. "Ich hab manchmal schon das Gefühl, dass meine alberne Seite nicht zu dem Recht kommt, das ihr zustünde", sagt er bei einem Earl Grey im Berliner Literaturhaus und feixt sich dezent eins. "Ich empfinde mich nicht als so ... schwer." Natürlich gebe es auch eine melancholische Komponente. "Aber das ist ja nicht direkt mit Traurigkeit zu übersetzen. Nicht umsonst gibt es den Begriff der süßen Melancholie."

Neulich, in der "NDR Talkshow", in die ihn garantiert nur die Pflicht zum öffentlich-rechtlichen Werbetrommeln für sein Krimi-Debüt gebracht hatte, war gut zu beobachten, wie Brandt sehr souverän fast nichts tun kann, das aber toller als alle anderen. Während die Kollegin Esther Schweins sehr estherschweinsig in jede erreichbare Aufmerksamkeitslücke hechtete, saß Brandt nur lächelnd am Rand und sah sich das Gewese der anderen an. Wer weiß, wofür man das noch mal brauchen kann, sagte sein Blick. Der Mensch sei sich seiner Lächerlichkeit viel zu selten bewusst, hat er einmal gesagt. Ziemlich unaufdringlich kluger Satz, das.

Von denen hat Matthias Brandt einige parat, wenn man über die Phase des ersten Kennenlern-Plauderns erst einmal hinaus ist und nicht gerade eine Mutter mit ihren Töchtern verzückt um ein Andenkenfoto bittet, das charmant absolviert wird. Obwohl Plaudern vielleicht gar nicht der beste aller möglichen Wege ins Wesen dieses Menschen ist. Es gibt Situationen, in denen redet Brandt nicht gern viel und sehr ungern zu viel. Mit Freunden beispielsweise, aber erst recht beim Fußball. Brandt, im September 1961 in Berlin als jüngster Sohn Willy Brandts geboren, ist leidenschaftlicher Werder-Fan.

Warum Werder, ist auch ihm nicht ganz klar, aber warum muss auch alles immer logisch erklärbar sein. Außerdem, als Trost für alle Ballsport-Ignoranten: "In die Menschenrechts-Charta müsste auch mal das Recht aufgenommen werden, sich nicht für Fußball zu interessieren." Jedenfalls muss man sich den Anblick von Matthias Brandt im Stadion als sehr still, sehr unbewegt vorstellen. Er sitzt da und genießt oder leidet, je nach Spielstand. "Eine Implosion ist nicht weniger anstrengend als eine Explosion", beschreibt er diesen Zustand und ist damit sofort auch wieder bei seiner Berufung, seinem Job vor Augen und Herzen der anderen. "Ich versuche weitgehend die Pose zu vermeiden, was in meinem Beruf gar nicht so leicht ist. Wenn man so viel interpretiert wird, muss man aufpassen, sich nicht entsprechend zu verhalten."

Matthias Brandt ist einer, der von sich ohne verschnörkelte Aufrichtigkeit sagt: Mein Leben ist mir genug. Und der dann auch noch die Größe hat, in dieser Gewichtsklasse nachzulegen: "Damit einem das Leben genug sein kann, muss man es ja erst mal finden."

Zusehen können und warten müssen, davon war Brandts Leben schon früh bestimmt. Als Sohn eines schon zu Lebzeiten überlebensgroßen Politikers, der in seinen besten Jahren mindestens wie ein Popstar verehrt wurde, sah er mehr schlechte und peinliche Inszenierungen von Macht und Ohnmacht, als man sie selbst dem schlimmsten Parteifreund wünschen würde. Als Bühnenschauspieler hat ihn die große Karriere auch nicht gerade früh gesucht und gefunden; die meisten Stationen im Lebenslauf waren solide Provinz, bis die Kamera und sein Gesicht, seine lakonische Intensität, diese Stimme, bei der man nicht weghören kann, sich füreinander entdeckten.

Das Aufsaugen von Realitäten ist für Brandts Rollenfeilen unverzichtbar. Der Familienmensch spaziert wohl auch viel allein oder mit den Hunden durch den Berliner Alltag, fährt Rad und wundert sich wohl des Öfteren, was ihm dabei so alles vor die Augen kommt. "Manchmal denke ich mir, jetzt lass doch mal die Leute in Ruhe, und sei es beobachtenderweise", berichtet er mit leiser Ironie, um gleich wieder ernster zu werden. "Ich hab tatsächlich ein sehr vitales Interesse an Menschen. Vielleicht nimmt das Interesse ab, diesen Menschen allzu nahe zu kommen, aber sich anzuschauen, was da so los ist, das nimmt nicht ab."

Ein "24-Stunden-Schauspieler" sei er deswegen nicht. "Für mich ist nahezu lebensnotwendig, es mit allergrößter Leidenschaft und Akribie zu betreiben. Um dann, wenn es vorbei ist, zu sagen, so, jetzt geh ich nach Hause, und dann komm ich irgendwann wieder."

Seit wann er weiß, dass er kann, was er kann? Das sei schwer zu beantworten, ohne blöde oder kokett zu wirken. Aber jetzt könne er, was er sich vorstelle, auch umsetzen. Das sei ein großes Glücks-, aber kein Grundgefühl. Zwingen könne man ja ohnehin nur wenig im Leben. "Ich forciere die Sachen nicht so gerne", meint Brandt. "Wenn man das so sieht, muss man zwangsläufig auch auf Dinge warten können, die passieren. Sonst wird man ja irre."

Ach ja, fast vergessen: Einer seiner Hunde heiße Oskar, erzählt Brandt. Der andere, ein irischer Findelhund, heiße Goblin, das sei das englische Wort für Kobold. Hässlich, aber guter Charakter? "Stimmt genau", sagt Brandt.