Dies ist der vierte Roman der Kanadierin Miriam Toews, der auf Deutsch erscheint: "Kleiner Vogel, klopfendes Herz". Wie in ihren anderen Büchern dominiert wieder ein Thema: Ausstieg aus einer streng religiösen, jede Lebensfreude erstickenden Familie. Oder: Emanzipation, Erwachsenwerden, Widerstand gegen einen übermächtigen Vater. Gewagt und unglaublich anrührend. Auch in ihrem neuen Roman gibt es Szenen, für die sie garantiert in den Himmel kommt, ob sie daran glaubt oder nicht.

Irma heißt das junge Mädchen, das in einem Mennonitendorf im Norden Mexikos aufwächst, unter Regularien wie vor fünfhundert Jahren. Als ein Regisseur dort einen Dokumentarfilm über diese Glaubensgemeinschaft aus der Reformationszeit drehen möchte, sieht sie neue Perspektiven für ihr Leben. Irma probt den Aufstand gegen ihre Familie. Sie heiratet einen hübschen fremden Mann, der nicht zur Gemeinschaft gehört. Dafür wird sie vom Vater verachtet. Das alles erträgt sie noch, aber als sie herausfindet, dass ihre kleine Schwester vom Vater brutal verprügelt wird, entwindet sie dem Tyrannen sein jüngstes Opfer, beschafft sich Geld und flieht. Ihre Mutter gibt ihr das gerade zur Welt gekommene Geschwisterchen namens Ximena mit auf ihre abenteuerliche Reise.

In Miriam Toews Romanen verlieren die Hauptpersonen unentwegt irgendetwas und geraten in jeder Weise ins Stolpern. Mit dem Baby glücklicherweise nicht: "In Acapulco angekommen, setzten wir uns in ein Taxi, und ich bat den Fahrer, uns an einen Strand zu fahren. Wir stanken. Wir sahen verboten aus. Ximena war in ihr Badetuch eingewickelt eingeschlafen - schweißnass und mit einem engelsgleichen Gesichtsausdruck, der unterschwellig zu sagen schien, ihr könnt mich alle kreuzweise, ich habe Bärenkräfte, und wenn ich erst mal sprechen kann, dann kriegt die Welt von mir was zu hören."

Das wütende kleine Mädchen wird uns ebenso wie ihre große Schwester immer liebenswerter. Die Mädels kommen durch, in einer glitzernden, mitunter gefährlichen Welt. Währenddessen lassen sie unsere Herzen vor Angst um sie Sturm klopfen.

Im Roman wird wörtliche Rede nicht mit Anführungszeichen abgesetzt; das macht die Lektüre verwirrend, aber auch dicht und lebendig.

Miriam Toews: Kleiner Vogel, klopfendes Herz. Üb.: Christiane Buchner. Berlin Verlag. 288 S., 22 Euro. In "Aufgeblättert" stellen im Wechsel Rainer Moritz , Annemarie Stoltenberg (NDR) und Wilfried Weber (Buchhandlung Felix Jud) Bücher vor.