Gegen den Einkaufswahn ist kein Kraut gewachsen

Manchmal zweifle ich an mir. Besonders dann, wenn mir so merkwürdige Gedanken durch den Kopf schießen wie vor einigen Tagen: "Man könnte doch mal wieder shoppen gehen." Moment, wie bitte? Shoppen? Am Sonnabend? Doch Impuls war Impuls, da konnte das Großhirn den basaleren Teilen meines Intellekts mit Rausschmiss und Schlimmerem drohen.

Die sich durch die Stadt wälzenden Menschenmassen: egal. Die Tatsache, dass ich ohnehin nur ein Paar Schuhe zur Zeit tragen kann und dementsprechend wohl kaum noch ein zehntes benötige: gleichermaßen. Der Mahlstrom des Binnenkonsums riss mich mit sich und ich hatte auch noch Spaß dabei.

Bis der Überschwang des Augenblicks nachließ und ich wieder vollständig Herr meiner Sinne war. Denn die fehlerhafte Verdrahtung in meinem Hirn offenbarte auch noch im Zeitpunkt des Rückzugs einen sadistischen Sinn für Humor. Ich kam nicht in einem netten Café, einer Buchhandlung oder wenigstens in einem Computergeschäft wieder zu mir. Sondern in einer nach Achselschweiß, Socken und billigem Eau de Toilette riechenden Umkleidekabine. Um mich herum plärrten sich juvenile Taschengeldverprasser quer über vier Kabäuschen hinweg Nichtigkeiten zu, versuchten, die grässliche Musik zu übertönen, die aus den großflächig verteilten Boxen wummerte.

Die Hände verschämt vor das Gesicht geschlagen, um meinen eigenen vorwurfsvollen Blicken aus den Spiegeln um mich herum zu entgehen, saß ich minutenlang da. Das Zittern ließ langsam nach, die Tränen des Selbsthasses versiegten. Irgendwann brachte ich den Mut auf, eine Bestandsaufnahme zu wagen, um den Aussetzer zumindest bilanzieren zu können. Bleierne Müdigkeit und Blasen an den Füßen zeugten von einer länger andauernden Phase der geistigen Umnachtung.

Genau wie die in verschiedenen Tüten steckende Beute: von Kinderhänden in Billigstlohnländern liebevoll zusammengenähte Massenware, das unvermeidliche zehnte Paar Schuhe. Des Weiteren ein Buch. Dem "Brutal spannend!"-Aufkleber auf dem Cover nach eher ein Fall für den Container als für das heimische Regal. Auch die beiden DVDs, die ich beim Herumkramen fand, waren kein Glücksgriff: Der Regisseur des einen hat sich gerade erst vehement gegen eine Klarnamenpflicht in der Filmbranche eingesetzt, der Drehbuchschreiber des anderen schaffte es nicht einmal in seinem Abschiedsbrief, einen Spannungsbogen aufzubauen. Schließlich noch ein technisches Gerät mit dermaßen vielen Zusatzfunktionen, dass sein eigentlicher Zweck überhaupt nicht mehr erkennbar ist. Und ein handschriftliches Zertifikat, das mich als neuen Besitzer des Hamburger Rathauses ausweist.

O nein. Nicht schon wieder. Wenn er mich packt, der Einkaufswahn, dann bin ich verloren für alle Logik. Der gesunde Menschenverstand hat Sendepause und man kann mir so gut wie alles aufschwatzen. Auf der Liste meiner einkäuferischen Großtaten stehen unter anderem zwei Wolkenkratzer, eine fünf Kilometer lange Strandpromenade und eine gotische Kathedrale. Alle gut erhalten und von äußerst vertrauenswürdigen Personen erworben. Jede von ihnen hatte eine so herzerwärmende Geschichte parat, bot sein letztes Hab und Gut so unschlagbar günstig an, dass ich nicht Nein sagen konnte.

Einer meiner letzten Geniestreiche war der Kauf des Eiffelturms für 150 Euro. Statt Pariser Kultur und Lebensart zu genießen, war ich halt doch wieder einkaufen. Und ganz ehrlich: Wenn einem schon einmal ein echtes Wahrzeichen angeboten wird und es zudem noch - so versicherte mir der leicht gehetzt wirkende Mann - einen anderen Interessenten gibt, dann muss man doch zuschlagen, oder?