Viele Maler reisten Anfang des 20. Jahrhunderts an die Ostsee, eine Ausstellung zeigt, wie der Norden ihre Kunst inspirierte

Schwerin. Als Anfang des 20. Jahrhunderts die Städte wuchsen und der Alltag immer stärker von den Begleiterscheinungen der modernen Zivilisation geprägt wurde, suchten viele Künstler die Abgeschiedenheit einer von Ursprünglichkeit und Ruhe geprägten Natur. Zahlreiche Maler, die heute zur Klassischen Moderne gezählt werden, entdeckten damals die Landschaften der Ostsee für sich, von Schleswig-Holstein über Mecklenburg und Pommern bis hin nach Ostpreußen und Litauen. Dabei zog es sie weniger in die mondänen Kurbäder, in denen das betuchte Bürgertum Erholung und Zerstreuung suchte, sondern vielmehr in jene Landstriche, die noch von unverbrauchter Natur und einfachem Leben bestimmt waren.

Edvard Munch kam nach Warnemünde, Max Pechstein verbrachte viel Zeit im heute polnischen Leba, Lovis Corinth in Nienhagen, während es Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel nach Stralsund sowie auf die Insel Hiddensee und Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky nach Prerow zog. "Bei unseren Recherchen sind wir auf eine unerwartet große Zahl von Künstlern gestoßen, die vor allem die Sommermonate im Norden verbracht haben", sagt Antonia Napp vom Staatlichen Museum Schwerin, das eine große Ausstellung unter dem Titel "Sommergäste - von Arp bis Werefkin" zeigt.

Aus zahlreichen Museen und privaten Sammlungen sind Werke zu sehen, die Künstler der Klassischen Moderne überwiegend in Mecklenburg und Pommern geschaffen haben. Vertreten sind zum Beispiel die Expressionisten von "Brücke" und "Blauem Reiter", aber auch Protagonisten des Realismus, der Neuen Sachlichkeit und Dada-Künstler wie Kurt Schwitters, der 1925 nach Göhren auf Rügen reiste. Für die "Brücke" bot die Ostsee einerseits die Möglichkeit, sich bürgerlichen Konventionen zu entziehen. Ähnlich wie an den Moritzburger Teichen bei Dresden suchten und fanden sie hier zu einem unmittelbaren Erleben der Natur. Für einige erwies sich das "Norderlebnis" als folgenreich: So schrieb Alexej von Jawlensky, der sich 1911 in Prerow aufhielt: "Dieser Sommer bedeutet für mich eine große Entwicklung in meiner Kunst. Ich malte dort meine besten Landschaften und große figurative Arbeiten in sehr starken, glühenden Farben, absolut nicht naturalistisch und nicht stofflich."

In der Ausstellung sind nicht nur große Ölbilder, sondern auch Zeichnungen, Aquarelle, Künstlerpostkarten und Druckgrafiken zu sehen, die eine eher intime Auseinandersetzung mit Land und Landschaft zum Ausdruck bringen. Aber zuerst ins Auge fallen Werke wie das großartige Frauenporträt "Paddel-Petermannchen!", auf dem Lovis Corinth seine Frau 1902 am Ostseestrand gemalt hat. Eines der Spitzenstücke der Ausstellung kommt aus der Finnischen Nationalgalerie in Helsinki. Es ist Edvard Munchs 1907 entstandenes Bild "Badende Männer". Der norwegische Maler verbrachte die Zeit von Juni 1907 bis zum Spätsommer 1908 überwiegend in Warnemünde. Dort malte er auf großem Format einen männlichen Akt: Er zeigt zwei athletische nackte Männer, die direkt auf den Betrachter zuschreiten, Anfang des 20. Jahrhunderts ein absoluter Tabubruch. Die Malweise ist experimentell, die in Gelb, Orange, Braun, Blau und Violett gehaltene Komposition birgt eine enorme Dynamik.

Als Munch das Gemälde im Oktober 1907 beendet hatte, schickte er es zu einer Ausstellung nach Hamburg, wo es im Kunstsalon Clematis an der Bleichenbrücke gezeigt werden sollte. Doch der Galerist verzichtete lieber auf die Präsentation, weil er glaubte, es dem konservativen Hamburger Publikum nicht zumuten zu können. In Finnland war man weniger prüde, dort wurde das Gemälde 1911 mit großem Erfolg ausgestellt und noch im gleichen Jahr vom Kunstmuseum Atheneum aufgekauft. Für eine der beiden abgebildeten Männer sollte das Gemälde übrigens böse Folgen haben: Ein Warnemünder Bademeister verlor aufgrund seines Auftritts als Modell seinen Job.

Dabei war das Badeleben in Warnemünde von der Freizügigkeit, die das Bild suggeriert, weit entfernt. "Es gab getrennte Männer- und Frauenbäder und an nacktes Baden war gar nicht zu denken. Die Badekleidung musste undurchsichtig sein und bis über die Knie reichen", sagt Antonia Napp. Es existieren zwar Fotos, die Edvard Munch mit einem seiner Modelle nackt am Strand zeigen, aber das war strikt verboten. Dabei wirkt Munchs Männerakt kaum erotisch, sondern ist vielmehr als allegorische Komposition zu verstehen, die, wie es im Katalogtext heißt, die kraftvollen Körper "in männlicher Kameradschaft ganz im Einklang mit der Natur" zum Ausdruck bringt.

Sommergäste - Von Arp bis Werefkin. Klassische Moderne in Mecklenburg und Pommern bis 23.10., Staatliches Museum Schwerin, Alter Garten 3, 19055 Schwerin, Di-So 10.00-18.00, Do 12.00-20.00, www.museum-schwerin.de

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