Knut Stenert und seine Band Samba spielen auf dem BootBooHook-Festival ihre optimistischen Herzstücke

Hamburg. "Meins! Meins! Meins!" In dem Zeichentrick-Film "Findet Nemo" jagen die Möwen als egomanische Meute über das Wasser. Knut Stenert findet diese Szene interessant. Nicht nur, weil er vor Jahren von Münster nach Hamburg gezogen ist. Dorthin, wo die Möwen zu Hause sind. Sondern auch, weil das viel diskutierte Phänomen des Schwarms eines ist, worüber der Musiker nachdenkt. Jenes Phänomen, durch das Online-Lexika wie Wikipedia von einer Menge anonymer Schreiber befüllt werden. Und durch das Menschen, die bei der Doktorarbeit geschummelt haben, von einer Vielzahl an Rechercheuren enttarnt worden sind. Ein Teil dieser Überlegungen ist eingeflossen in die aktuelle, siebte Platte seiner Band Samba mit dem Titel "Die Ekstase der Möwen". Gibt es eine Intelligenz der Masse? Und wohin läuft ein einzelner Hans im Glück in Zeiten der Globalisierung?

Entstanden ist kein Philosophenpop, entstanden sind lauter Herzstücke. Optimistische zudem. Live zu erleben sind diese am 19. August (19.15 Uhr) auf dem BootBooHook-Festival in Hannover, organisiert vom Hamburger Label Tapete Records.

Der Samba-Sound klingt federleicht. Gitarre, Elektronik, Verheißung. Eine Stimme aus Westfalen. Und Chöre aus dem Hinterhalt. Sie treiben das Geschehen nach vorne. Auf die Tanzfläche. Und Stenert textet dazu Verse, die das Kopfkino ankurbeln, ohne stringent eine Story zu erzählen. Es geht um Assoziationen. Um Themen und Stimmungen, die zu Pop montiert werden.

"Einzelne Worte, die mich faszinieren, schreibe ich mir auf. Beim Gitarrespielen bilde ich dann Begriffsfelder, die für mich zusammengehören", erzählt Stenert in seiner Küche im Altonaer Hinterland. Der 38-Jährige spricht langsam, mitunter schließt er die Augen dabei. Der Schwarm der Wörter, den er in seinen Liedern bildet, schwimmt so frei, dass die Musik reichlich Raum hat zu fließen. "Dem Hörer wird so die Möglichkeit gegeben, das Ganze für sich neu zu interpretieren", sagt Stenert. Von Radiomoderatoren bekam er allerdings schon zu hören, seine Lyrik sei zu abstrakt. Ein merkwürdiger Vorwurf. Ist es doch die Aufgabe des Dichters, poetisch zu sein.

"An einem wunderschönen Freitag, in einer Angelegenheit,/waren wir Schwächlinge in Freiheit und in einer Minderheit." Das ist so eine Zeile. Sie erschließt sich nicht beim ersten und auch nicht beim zweiten Mal. Und doch verdichtet sich der dazugehörige Song "Im Stau" zu dem Gefühl einer jungen Generation, die viel darf und doch nicht vorankommt. Die Energie hat und zugleich heiß läuft im Leistungskarussell. Bis zum Stillstand. Als Identitätsstütze bietet Stenert, wenig verwunderlich, die Musik. "Normale Leute brennen nicht,/doch wir sind es gewohnt,/dass Lieder zum Aufwachen sind,/Lieder zum Aufmachen sind,/Lieder zum Großwerden sind", singt er in der Nummer "Lieder zum Widerstand."

Der Protest, er äußert sich bei Samba weniger in der Musik selbst, die sich seit der Gründung 1994 zunehmend vom Punkigen zum Pop wandelte. Es ist eher ein besonderer Duktus, der Reibung erzeugt. Stenert spielt mit der Sperrigkeit des Deutschen, mit der "Ästhetik des Kantigen", wie er es nennt. Ein Prinzip, das er auf älteren Platten noch heftiger praktiziert hat. "Bundeswehrschlafsack" lautet der Titel eines frühen Songs. Ein kleiner, feiner Hit aus dem Jahr 1995 wiederum heißt "Das Licht, das auf mich scheint und aus dem Kühlschrank meiner Küche kommt".

Nach einigen Umbesetzungen funktioniert die Formation mittlerweile auf Hamburg, Leipzig und Berlin verteilt. Songideen schickt Stenert online an seine Kollegen. Der Bandname durfte dabei jedoch noch nie als Stilrichtung gewertet werden. Die Gruppe benannte sich nach dem Hallenturnschuh-Modell von Adidas. Vor dem allgemeinen Retrotrend, wie Stenert betont.

Samba ist eine Band, die für die Musik brennt, sich aber nicht an ihr verbrennt. Sprich: Das Ekzessive, das Rock 'n' Rollige ist ihr Leben nicht. "Dafür bin ich zu sehr Westfale", sagt Stenert, der zum Broterwerb als Anwalt arbeitet. Für einen Menschen wie ihn, dessen Metier die Worte sind, ist eine Aussage allerdings erstaunlich: "Ich finde Lesen relativ langweilig. Mich inspirieren Filme mehr als die Kunstform Roman." Eine komprimierte Wucht sei das im Kino, ähnlich wie im Pop.

Auch die Demarkationslinie zwischen Mainstream und Hochkultur hält er für überholt. "Das hat immer so was Snobistisches." Hollywood-Blockbuster seien oftmals "anspruchsvoller und abgefahrener" in ihrer Bedeutungsebene als Art-House-Kino. Und wer möchte bestreiten, dass der Möwen-Schwarm in "Findet Nemo" ein Sinnbild unserer Zeit ist?"Meins! Meins! Meins!"

Samba/BootBooHook-Festival 19.-21.8., Hannover, Kulturzentrum Faust, Zur Bettfedernfabrik, Drei-Tage-Ticket 44,- Vvk.; www.bootboohook.com