Der Chef des Internationalen Museumsrats spricht über veränderte Ansprüche und den gesellschaftlichen Auftrag von Museen.

Hamburg. Der Franzose Julien Anfruns ist Generaldirektor des International Council of Museums (ICOM). Er studierte politische Wissenschaften und Wirtschaft, war Geschäftsführer des Louvre und arbeitete später für die Vereinten Nationen. Der ICOM ist in 150 Nationen vertreten, hat 30 000 Mitglieder, davon allein 4500 in Deutschland. Er gilt als die weltweit wichtigste Museumsorganisation. Wir fragten den ICOM-Chef nach aktuellen Problemen und den Perspektiven der Museen.

Hamburger Abendblatt: Was sind weltweit zurzeit die großen Herausforderungen für Museen?

Julien Anfruns: Museen organisieren einen Teil des kulturellen Dialogs zwischen den Nationen. Und der wächst rapide. Früher sind neue Museen im Wesentlichen in der westlichen Welt und in den USA entstanden, jetzt hat sich das in Länder wie Abu Dhabi, Qatar und Bahrain verlagert. Länder wie Hongkong, Singapur und vor allem China bauen große neue Museen in rasantem Tempo. Aber auch für Mexiko oder Brasilien haben Museumsprojekte hohe politischer Priorität.

Abendblatt: Haben sich denn die Aufgaben der Museen verändert?

Anfruns: Sie haben sich vor allem gravierend erweitert: Die Museen müssen im zunehmendem Maß Verantwortung für die sie umgebende Gesellschaft übernehmen.

Abendblatt: Kommt das auch in neuen Themen zum Ausdruck?

Anfruns: Das zeigen schon Namen wie zum Beispiel das "Museum der Globalisierung" in Göteborg oder das "Museum der zerbrochenen Beziehungen" in Kroatien. In Wien gibt es das "Museum zur Schwangerschaftsverhütung", in Paris das Immigrationsmuseum.

Abendblatt: Wie reagieren Museen auf die Veränderung der Sehgewohnheiten etwa durch Fernsehen, Computer und Videospiele .

Anfruns:Die Aufgaben bleiben davon unberührt, sie werden weiter bewahren, ausstellen und forschen. Aber die Anforderung an die Präsentation hat sich stark verändert. Viele Museen sind schon im Netz, man kann dort seinen Besuch vor- oder nachbereiten. Computer sind im Einsatz, iPods, PDAs, es gibt moderne Audioguides. Das vereinfacht den Zugang.

Abendblatt: Ist es nicht gefährlich, wenn man Museumsinhalte immer stärker an der Freizeit- und Eventkultur orientiert?

Anfruns: Die neuen technischen Möglichkeiten vervielfachen unsere Chancen, neue Besucher zu erreichen. Bei Events ist das anders. Nur mit hübschen Events kann man keine Kultur vermitteln; Museen müssen auch in Zukunft dem kulturellen Auftrag dienen.

Abendblatt: Große Ausstellungen sind oft kaum finanzierbar, und manche Direktoren klagen, dass sie die Dauerausstellungen uninteressanter erscheinen lassen.

Anfruns: Wenn man Erfolg mit großen Ausstellungen hat, muss man sofort in den normalen Museumsbetrieb investieren. Das ist im Augenblick vor allem in Europa schwierig - und gerade in Nordamerika, wo man sich sehr stark auf privates Geld verlassen hatte, das in der Wirtschaftskrise wegbrach. Kultur und Museen müssen Teil der Verantwortung des Staates bleiben. Und die Politiker müssen einsehen, dass Kultur viel mehr bedeutet als Zahlen im Haushalt. Das Ansehen von Städten misst sich heute mehr denn je an ihrer Kultur. Die Regionen, die jetzt verstärkt in Museen investieren, haben das erkannt.

Abendblatt: In Hamburg wurde während der letzten Spardebatte ernsthaft diskutiert, ein Museum zu schließen. Haben Sie davon gehört?

Anfruns: Für uns ist es ein Drama, wenn ein Museum geschlossen wird. Ich kenne die Details aus Hamburg nicht. Es gibt aber andere Wege: Man kann Museen zusammenlegen, die Verwaltung verschlanken.

Abendblatt: Ist es für Sie denkbar, dass - auch darüber wurde in Hamburg diskutiert - Gegenstände aus den Sammlungen verkauft werden?

Anfruns: Nein, niemals! Wir sind ja nicht deren Eigentümer, wir verwalten sie für kommende Generationen. Möglich ist höchstens, dass man ein Werk aus der Sammlung verkauft, um diese an anderer Stelle auszubauen und ihr Profil zu schärfen.

Abendblatt: Welche Rolle spielen die Freundeskreise der Museen?

Anfruns:Sie sind bedeutende Partner, können engagierte Vorschläge machen und für gesellschaftliche Verankerung sorgen. Aber sie dürfen nicht in Entscheidungen der Museumsleitung eingreifen wollen.

Abendblatt: Museen bekommen Subventionen, Eintritts- und Sponsorengelder. Woher kann sonst noch Geld kommen?

Anfruns: Zum Beispiel durch Restaurantlizenzen, Museumsshops und Vermietungen. Viele Museen müssen erst noch lernen, damit zu wuchern, dass sie etwas Besonderes sind.

Abendblatt: Was halten Sie von freiem Eintritt in Museen?

Anfruns: In Großbritannien und in China gibt es das, in einigen Museen weltweit auch. Man kann das machen, wenn der Einnahmeausfall ersetzt wird. Als freier Eintritt in Frankreich diskutiert wurde, wären dafür 400 Millionen Euro nötig gewesen. Das Publikum will hohe Qualität, und die kostet Geld. Freier Eintritt heißt nicht, dass unterprivilegierte Gruppen plötzlich massenhaft in die Museen kommen, eher kommen dieselben Leute wie vorher, nur eben öfter als bisher.