Die Uraufführung von “Aulodie“ erreicht den Kopf, nicht das Herz

Hamburg. Aktualität ist in der Musik keine Frage des Entstehungsjahres. Manches Alte kann erregend klingen wie am ersten Tag, wenn es von kundiger Hand zu neuem Leben erweckt wird; manches Druckfrische ist dagegen schon bei der Uraufführung von gestern. So war es auch beim Konzert des Schleswig-Holstein-Festival-Orchesters unter der Leitung von Peter Ruzicka am Sonntag im Rolf-Liebermann-Studio zu erleben.

Die Stars des Abends hießen Mozart und Mayer. Der Oboist Albrecht Mayer hatte sich das nachkomponierte Andante zu Mozarts Flötenkonzert KV 313 für die Oboe eingerichtet. Doch die Frage nach der Authentizität dieser rekonstruierten Oboen-Fassung stellte sich gar nicht; Mayers nuanciertes und absolut stilsicheres Spiel hätte selbst jeden Repertoire-Klau voll gerechtfertigt. Und das von Mayers melodischer Guideline geführte Orchester lief mit ihm zu Hochform auf.

Die Spielkunst und das offenbar unerschöpfliche Lungenvolumen des Oboisten bewährten sich auch bei der Uraufführung von Peter Ruzickas "Aulodie" für Oboe und Kammerorchester. Ruzickas Komposition aber klang wie ein Déjà-vu. Zu hören waren das altbekannte Ruzicka-Bedrohungsszenario mit hohen Streicher-Pfeiftönen, dissonanten Schockeffekten von Klavier, Schlagzeug und Bässen und die ebenso geläufigen Tröstungen der ruzickaschen Klangrede. Auch in der "Aulodie" behält wieder eine lang sich aussingende, elegische Melodielinie - in diesem Fall für Oboe - das letzte Wort.

Es gibt einen schwer zu verdauenden Widerspruch zwischen der Rhetorik Ruzickas, seiner Beschwörung emotionaler Extreme, dem spätexpressionistischen Leidens- und Schmerzensgestus einerseits und der formelhaften Produktion des Komponisten, der sachlichen Gefühlsaskese des Interpreten andererseits. Vieles kennt man aus seinen Hölderlin- und Celan-Opern; das meiste davon erreicht nur den Kopf. Und wie oft kann man einen Schrei wiederholen, bevor er zur Pose wird?

Ausgesprochen sinnvoll erschien die Koppelung der "Aulodie" mit Richard Strauss' "Metamorphosen" im ersten Teil des Programms. Ruzickas Schmerzensstück wirkte wie eine Fortsetzung von Strauss' - hier allerdings recht klassisch-gemäßigt klingender - Trauer um "sein" geliebtes München. So wie Strauss Beethovens Eroica-Trauermarsch zitierte, so hallten in der "Aulodie" Marschfragmente der Trommel wider, die in diesem Kontext als direkte Anspielung erschienen.

Beethovens Vierte Symphonie, die dem Dirigenten Ruzicka bei den Philharmonikern Hamburg zuletzt sehr überzeugend gelungen war, bildete den dynamischen, bisweilen etwas lärmenden und von einzelnen verwackelten Bläserakkorden getrübten Abschluss des Abends.