Treffpunkt der Kulturen: Den Zuhörern im alten Lokschuppen in Ohlsdorf schenkten Aynur Dogan und Band einen Abend religiöser Erfahrung.

Hamburg. Ein Zelt, das wäre noch passender gewesen. Aber der endlos lange, mit schwarzem Moltontuch abgeteilte und so zum halbwegs intimen Konzertort umfunktionierte Lokschuppen in Ohlsdorf umfing die kurdische Sängerin Aynur, ihre fünf Musiker und das Publikum mit einer ganz eigenen Magie. Rechts neben der improvisierten Bühne schlief ein alter S-Bahn-Waggon, über den Schienenweg links hatten die Veranstalter dicke Gummiteppiche gelegt, damit sich die Damen beim Aufsuchen ihrer Sitzplätze nicht die Absätze ihrer Stöckelschuhe entzwei traten.

Als Treffpunkt zweier Kulturen gewann die nur über einen längeren Fußweg erreichbare, bahnhofsartige Halle eine beiläufige Symbolkraft. Die Kurden sind zwar nicht heimatlos, aber doch staatenlos; sie leben in der Türkei, im Iran, im Irak, in Aserbeidschan, in Armenien oder im Libanon. Nomaden zumindest in der Seele, bewahren sie deshalb in ihrer Musik ein umso stärkeres gemeinsames Zuhause. Wir, die Vertreter der anderen, sesshaften, in ihrem Existenzrecht nicht bedrohten Kultur, mussten wenigstens ein bisschen von unserer Bequemlichkeit hintanstellen, um die Kunst der Gäste zu genießen.

Überraschend viele deutsche Zuhörer waren gekommen, um Aynur & Band zu erleben. Der Abend schenkte eine im Wortsinn religiöse Erfahrung. Denn Lied für Lied gab das Konzert den Glauben an die ursprüngliche Zauberkraft der Musik zurück, an ihren sinngebenden Wert, ihre elementare Bedeutung für die Seele des Menschen.

Was macht es schon, dass manches Lied kaum über den Umfang einer Quinte hinausgeht, wenn dieser Tonraum viel mehr umfasst als nur fünf Töne und wenn diese Töne mit einem unerschöpflich scheinenden Reservoir an Ausdrucksnuancen gesungen werden? Aynurs Musik ist überwiegend modal. Sie behält ein ganzes Stück lang denselben Grundton, von dem aus sich eine Skala erhebt, die meist mit einem Halbtonschritt beginnt und in der auch kleinere Intervalle vorkommen als Halbtöne. Mancher vermisste vielleicht die Modulation und harmonischen Reichtum. Dafür öffnete sich, neben oftmals vertrackter Rhythmik, der Mikrokosmos der Melodie.

Beim Singen schloss Aynur meist die Augen und rief mit der linken Hand die Töne aus der Luft herbei, wie Geister oder wie die Lieder und das Leben ihrer Vorfahren. Zwei muskulöse Herren bliesen sanft die Kaval und die Duduk, flötenähnliche Instrumente, die oft klangen wie der Wind in den Bergen. Yilmaz Yesilyurt genügten zwei Trommeln und drei Becken, die er nahezu ausnahmslos mit den Händen spielte, um den Herzschlag der Erde hörbar zu machen. Cemil Kocgün holte mit den silbrig feinen Klängen der Tembur, einer dünnen, kleinen Gitarre, das Licht der Sterne herab. Und er erzählte in eigener Poesie von den Ursprüngen mancher Lieder. Kevin Carter zupfte den Kontrabass - einzige Konzession an die westliche Musikkultur, die auch tiefe Töne braucht, um sich der Tiefe der Musik zu vergewissern.