Das Tanztheater “Kontakthof“ von Pina Bausch eröffnet das Internationale Sommerfestival Hamburg 2011 auf Kampnagel.

Hamburg. Sich zu zeigen, sich auf dem "Markt" der sexuellen Beziehungen möglichst gut zu "verkaufen" - das ist ein Thema, das gerade Jugendliche extrem beschäftigt und bewegt. Natürlich hinter einer möglichst coolen Fassade. Genau davon handelt Pina Bauschs Werk "Kontakthof". 2008 hat die Choreografin (1940-2009) das Tanztheater bei ihrem eigenen Festival mit Mädchen und Jungen aus Wuppertaler Schulen herausgebracht, ein ebenso überwältigender Erfolg wie die zuvor gezeigte Version für alte Menschen. Am kommenden Donnerstag eröffnet "Kontakthof mit Teenagern ab 14" das Internationale Sommerfestival Hamburg auf Kampnagel.

Jo Ann Endicott, Probenleiterin im Wuppertaler Tanztheater, hatte nicht nur die Frau in Rot bei der "Kontakthof"-Premiere 1978 getanzt, sondern auch 1999 die "Rentner-Fassung" einstudiert. Ohne Punkt und Komma schwärmt die lebhafte Australierin von der Arbeit mit "ihren Kindern". "Die eineinhalb Jahre waren wirklich keine einfache Zeit, aber auch eine tolle und unvergessliche Erfahrung für uns alle." Endicott gehört seit 1973 zum Wuppertaler Tanztheater und prägte mit ihren abwechselnd lebens-, humor- oder verzweiflungsvollen Frauenporträts viele Bausch-Abende.

1987 stieg Endicott aus und kehrte nach Australien zurück, kam aber 1994 wieder zurück als Gast und schrieb sich ihre Hassliebe zum verehrten Tanztheatergenie in ihrem zweiten Buch "Warten auf Pina" (Henschel-Verlag, Berlin) von der Seele. Die Mutter dreier Kinder wohnt im Badischen, betreut als Probenleiterin die älteren Choreografien von Bausch und war eine Zeit lang auch für das Filmarchiv der Pina-Bausch-Stiftung tätig.

Im Herbst 2007 hatten Endicott und ihre Kollegin Bénédicte Billiet mit 150 Wuppertaler Jugendlichen zu arbeiten begonnen, ihnen Gehen, Stehen und kontrolliertes Bewegen auf der Bühne beigebracht. Eine Geduldsprobe, bei der sich Endicott und Billiet immer wieder zu Gelassenheit, Nachsicht und Ruhe mahnen mussten. Die meisten der Jungen und Mädchen waren nur neugierig oder wollten dem Unterricht entfliehen. Aber jeden Sonnabend (mit Ausnahme der Ferien) pünktlich zur Probe anzutanzen, das war für einige dann doch eine zu große Anforderung. Gut ein Drittel ist schließlich übrig geblieben und kam zum ersten Casting mit Pina Bausch im November 2007.

"Das Stück bleibt dasselbe, doch sein Inhalt erhält eine andere Aussage", sagt Endicott über die Jugendversion auf Kampnagel. "Stellt man alte und junge Menschen auf die Bühne, ist das doch ein Riesenunterschied. Die einen haben Falten und viel Lebenserfahrung, die anderen kennen das Leben auf ihre Weise, haben nur noch nicht so viel Liebeserfahrung." Sie waren auch noch sehr schüchtern, beobachtete Endicott entzückt. "Die Jungs sogar mehr noch als die Mädchen."

Beim Probieren einer Szene, in der Zärtlichkeiten in Aggression umkippen sollen, reagierten sie geniert und gehemmt. Sie forderte die Schüler heraus, auch mal über den eigenen Schatten zu springen. "Anfangs waren sie noch 13, 14 oder 15 Jahre alt und wollten den oder die nicht anfassen", erzählt Endicott. "Unterdessen sind sie älter geworden, haben Erfahrungen und Freunde gewonnen oder sind frisch verliebt." Die Probenmonate waren nicht nur eine Übung in Disziplin, Konzentration und Kommunikation, sondern ein Lernen fürs Leben. "Das Tanzen hat ihnen im doppelten Sinn Rückgrat gegeben", so Endicott. "Sie wurden sich nicht nur ihres Körpers und der Wirbelsäule bewusster, sondern lernten mit der äußeren auch innere Haltung." Hatte die "Kontakthof"-Version der über 65-Jährigen zu den Geschlechter-Duellen eine (selbst)ironische Distanz durch die Erinnerungen an ihre Jugend und die Konventionen gewonnen, so bot die Teenagerfassung den Akteuren die Chance, sich in der Gruppe zu erfahren und in der chaotischen und verwirrenden Phase der Pubertät Vertrauen zu sich und den anderen zu entwickeln. Es beweist die Genialität von Bauschs Choreografie, dass sie für alle Altersstufen, für Profitänzer wie auch für Laien, eine spezifische Faszination entfaltet.

Wer, wenn nicht Jo Ann Endicott, die den "Kontakthof" in- und auswendig kennt, könnte das Erfolgsgeheimnis dieser Choreografie - und generell des Werkes von Pina Bausch - besser entschlüsseln: "Das Stück ist vorhanden. Existiert seit 30 Jahren", schreibt sie. "Und es bleibt, wie es ist, wie es war und wie es immer sein wird, seit ich es kenne. Ob Alt oder Jung, ob Profi oder Laie: Es ist der Mensch, der dieses Stück trägt. Der Mensch und die Choreografie des Stückes machen es möglich - machen es unsterblich."