Der 27-jährige Schriftsteller Leif Randt erzählt in seinem Roman “Schimmernder Dunst über Coby County“ von der Unmöglichkeit, glücklich zu sein.

Hamburg. Die Helden in amerikanischen Romanen, seien sie von Richard Ford oder Don DeLillo, haben eine bisweilen nervtötende Eigenschaft: Sie geben vor, ihr Leben im Griff zu haben, auch wenn es ihnen gerade entgleitet. Sie räsonieren in aller Seelenruhe (als wären sie permanent auf Prozac), und sie sind nur scheinbar tiefsinnig, wenn sie in Wirklichkeit banale und pseudo-nachdenkliche Überlegungen anstellen. Wim Endersson, die Hauptfigur in Leif Randts zweitem Roman "Schimmernder Dunst über Coby County", ist den Amerikanern nicht nur ähnlich; in ihm ist das Rätsel der Verdrängung auf die Spitze getrieben.

Endersson ist (zunächst) eine Figur wie aus dem Katalog, genauso wie der utopische Ort Coby County: glatt, geschmeidig, windschnittig. Endersson ist 26 und Literaturagent, er ist alters- und berufsmäßig in derselben Kaste wie der Berliner Schriftsteller Leif Randt. Der 27-Jährige gilt seit seinem Debüt "Leuchtspielhaus" als vielversprechendes Talent. Für einen Auszug aus "Schimmernder Dunst über Coby County" bekam er nun einen der Preise in Klagenfurt. Sehr zu Recht, der Roman ist ein meisterhaft und dabei doch ganz einfach komponiertes Prosa-Stück, keine 200 Seiten lang und dabei auf abgründige Weise schön.

In "Schimmernder Dunst über Coby County" geht es um einige Wochen im Leben des jungen Wim. Er lebt in einer Wohlstandsoase und bekommt trotzdem den Blues: Mehr passiert eigentlich nicht.

Wims 65-jährige Mutter, eingeführt als "Expertin für Marketing und Emphase", sagt über ihr innig geliebtes Zuhause: "Als wir uns damals aufmachten, um in den Frühling nach Coby County zu ziehen, schien dies aus einer leicht angetrunkenen Laune zu geschehen. Diese Laune trägt uns jetzt seit vierundvierzig Jahren durch ein fantastisches Leben." Der Nachdruck, mit dem sie spricht, ist vergleichbar mit dem derjenigen Pensionäre, die so übertrieben huldvoll über ihr Leben oder die Schönheit ihres Lebensabends sprechen. Ältere Menschen, die einem in ihrer positiven Grundstimmung durchaus gefallen können, die aber gerne Ziel gewisser Boshaftigkeiten sind. Leif Randt ist eher boshaft, jedoch geht einem das nicht sofort auf. Er erzählt amerikanisch: Die Figuren sind das, was sie tun. Nichts wird erklärt.

Man kann seinen Text als ganz ernsthaften, aber auch satirischen Kommentar zu der Traumwelt einer Lifestyle-Gesellschaft lesen kann. Coby County ist ein Fantasieort, der geografisch keine reale Entsprechung hat, aber ideell in den Szenequartieren unserer Städte oder den Strandparadiesen der Sonnengegenden liegt. Vielleicht ist Coby County ein kleines Los Angeles? Oder doch Berlin-Mitte? Erzählweise und Sprache sind elegant und feinsinnig (und doch so beinah lächerlich aufrichtig, sie gaukelt gerade nicht tiefere Wahrheiten vor). Es steht alles da, was wichtig ist in dieser wie am Reißbrett entworfenen Welt, die in ihrer Kulissenhaftigkeit ein wenig an das unter einer Kuppel liegende Seahaven aus Peter Weirs "Die Truman Show" erinnert.

In Coby County, der Heimat Wim Enderssons, wirken Szenerie und Charaktere wie simuliert: Wim ist Literaturagent, sein bester Freund Wesley Kunsthistoriker. Studiert haben sie and der "School Of Arts And Economics". In Coby County geht es nur um Oberfläche, Ästhetik, Stil und Design, um Konsum und Unterhaltung.

Die Menschen in der Stadt am Meer sind Künstler, Schriftsteller, Kreative und Freiberufler unbestimmter Art, Webdesigner, Onlineredakteure, Filmregisseure, Hotelbesitzer. Und Touristen. Coby County ist Kurort und Frühjahrsferiendomizil der akademischen Eliten der westlichen Welt. Coby County ist ein hipper Hotspot; jeder will hier urlauben, keiner von hier weggehen.

Bis auf Wesleys Mutter: Die ist vor anderthalb Jahren weggezogen, sie ist Neo-Spiritualistin. In der Werbebroschüre, die den von einem Kosmetikkonzern gesponserten Ort anpreist, heißt es plump: "Gegen zehn am Morgen hat das junge Paar aus Bristol UK noch lange nicht genug vom Tanzen im Sand." Der liebste Film der Einheimischen trägt den Titel "Schimmernder Dunst über Coby County" , "ein kritischer Dokumentarfilm über das leichte Leben in unserer Stadt", erklärt der Ich-Erzähler Wim emotionslos.

Er ist stets emotionslos und wirkt überreflektiert. Als wüsste er genau: Das Leben in der Komfortzone, in der man sich nur für ein Restaurant und den Zeitpunkt, an dem man an den Strand gehen will, entscheiden muss, dieses Leben also kann nicht richtig sein. Hinter der ständigen Euphorie, am besten Platz der Welt zu sein, lauert die Melancholie. Wim Endersson glaubt, schon immer an ihr zu leiden.

Außerdem ist er froh über jeden wahrhaftigen Moment - und teilt das dann auch immer unumwunden mit, als hätte er einen besonders kostbaren Augenblick genossen. Weil ihm die Existenz im Reich der Schönen, Schlauen, Gesunden und Reichen so unwirklich anmutet? "Es kommt mir plötzlich so vor, als wäre die Herstellung von Glück ausschließlich eine Frage des Timings", sagt er einmal, und an einer anderen Stelle: "Ich spüre eine enorm moralische Stimmung in mir aufsteigen."

Gerade angesichts des zweiten Zitats fragt man sich, wer so redet. Es ist nicht nur die naive Sprechweise, die an den frühen Christian Kracht, den Autor von "Faserland", erinnert. Randts Protagonist bezeichnet sich und seinesgleichen als "späte Jugendliche". Ihre privilegierte Herkunft und ziellose Orientierungslosigkeit, ihr um sich greifender Ennui ist ein "Faserland"-Zitat. Bei Kracht bekam die Leere die Namen von Städten und Marken, bei Randt bleibt sie namenlos. Wie Kracht erzählt auch Randt in einem dichten Motivgeflecht von einem verpassten Coming-Out. Wie Krachts Erzähler ist Wim gleichzeitig hellsichtig und unterbelichtet. Das Personal in "Schimmernder Dunst über Coby County" dämmert dahin; einzig die Freunde Wim und Wesley suchen ein neues Leben. Sie spüren, dass der im gleißenden Licht des Frühjahrs arbeitenden Glücksmaschine Coby County etwas abhanden kommt. Was genau, können sie nicht benennen. Es ist alles, und es ist nichts; die Leerstelle ist eine Metapher auf das, was uns immer zum Glücklichsein fehlt.

Der "Untergrund", ein Partykollektiv, das in Coby County sowohl den Hedonismus (wie alles andere auch) als auch eine Art antigentrifizistische Klientel bedient, ist nicht die Sache von Wim und Wesley. Und so verlassen sie ihren Geburtsort, an dem paradoxerweise so großer Mangel herrscht, weil eigentlich alles da ist, um glücklich zu sein. Aber ihr Wegzug aus Coby County ist nicht von Dauer.

Am Ende ist das Paradies, das doch auch eine Hölle ist, von einem Unwetter bedroht. Sturm kommt auf. Coby County wird evakuiert, und nur die Freunde bleiben. Der Sturm zieht vorüber, alles bleibt beim Alten, und Wim Endersson berichtet: "Wir spazieren über einen stabilen Strand, es ist ein dunstiger Nachmittag, und bald wird es Abend."

Lesung am 17.9. auf dem Harbour Front Literaturfestival. Tickets unter Telefon 30 30 98 98

Leif Randt: "Schimmernder Dunst über Coby County". Berlin Verlag, 191 S., 18,90 Euro