Die große kurdische Sängerin Aynur gastiert am Sonnabend beim Schleswig-Holstein Musik Festival im Lokschuppen der S-Bahn (U/S Ohlsdorf).

Wer Aynurs Stimme einfach nur schön nennen wollte, hätte recht und verschwiege doch die größere Wahrheit. Der Gesang dieser Frau ist eine Heimat. In ihm wohnt die Seele der Kurden, in ihm verwandelt sich deren Hoffnung und Schmerz in Klang. Und selbst das benennt nur die geografischen und historischen Koordinaten. Denn wäre ihre Stimme nur die Heimat der Seele und des Schmerzes der Kurden, würde Aynurs Gesang bei den übrigen Bewohnern der Erde allenfalls die Rezeptoren des Mitgefühls und der guten Gesinnung erreichen.

Aynurs Gesang aber zeigt, dass ihr Volk viel mehr weiß als andere über den Schmerz. Wer sie hört, kann ihn fühlen, jenseits all der kurdisch gesungenen Worte und Geschichten, die man vielleicht nicht versteht. Ihr Flehen, ihre zärtlichen Töne, ihr inbrünstiges Schreien lassen keinen Zweifel daran, dass das stärkste und unmittelbarste aller Musikinstrumente immer sein wird: die menschliche Stimme.

Aynur wurde 1975 in einem Dorf in der Zentraltürkei geboren. Sie hat in Istanbul Gesang studiert und den türkischen Staat gegen sich aufgebracht, weil sie in Konzerten in ihrer Muttersprache Kurdisch gesungen hat. Deren öffentlicher Gebrauch war zwischen 1980 und 1990 gesetzlich verboten. "Seit Jahrhunderten leben wir auf diesem Boden zusammen", sagt Aynur in Fatih Akins Musik-Doku "Crossing The Bridge". "Jeder sollte die Kultur, Sprache und Religion des anderen respektieren."

Erst mit ihrem letzten Album, "Rewend" (Nomade), zielt sie auch auf eine Hörerschaft jenseits des türkisch-kurdischen Kulturkreises; die Instrumentation ist etwas moderner, bei einigen Stücken spielen zwei deutsche Jazzmusiker Bass und Klavier, und die Texte finden sich in englischer Übersetzung. Das Vorgänger-Album "Keçe Kurdan" (Kurdisches Mädchen) ist roher, experimenteller, fiebriger und poetischer. Diskret eingesetzte Knister-Elektronik sowie Saxofon-Klänge zum magischen Beat der großen Rahmentrommel geben indes auch dieser Platte schon einen dezidiert westlichen Touch.

Aynur begleitet ihren Gesang auf der Saz, zu Auftritten reist sie mit einer Band, die traditionelle Instrumente spielt. Dass das Schleswig-Holstein Musik Festival sie für "Merhaba Türkiye" eingeladen hat, lindert etwas die Enttäuschung über das für ein Festival dieser Größenordnung kaum entschuldbare Fehlen von Sezen Aksu, der größten Volkssängerin der Türkei. Und ist gewiss auch eine Verbeugung vor den Kurden. "Das Besondere an der kurdischen Musik sind ihre Klagelieder", sagt Aynur. "Das sind alles erlebte, erfahrene Schmerzen. Schicksalsschläge, Kriege, Trennungen, Liebschaften, Zerstörungen. Darauf basieren sie." Musik als Sprache, die von allen verstanden wird: Das ist meist nur ein frommer Wunsch. Hier geht er in Erfüllung.

Aynur Sa 6.8., 20.00, Lokschuppen der S-Bahn (U/S Ohlsdorf), Sommerkamp 31, Tickets zu 19,- bis 39,- unter T. 0431/23 70 70; www.shmf.de