Wilhelm Genazino beschreibt, wie ein trauriger Held das Glück im Durchschnittlichen sucht

Wilhelm Genazino ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschsprachigen Literatur. 20 Jahre lang wurden seine leicht skurrilen Bücher zwar von der Kritik verhalten gelobt, doch die meisten Titel landeten auf dem Wühltisch. Als Marcel Reich-Ranicki im "Literarischen Quartett" eine wahre Lobeshymne auf Genazino anstimmte, änderte sich die öffentliche Wahrnehmung schlagartig, und 2004 erhielt er durch den Georg-Büchner-Preis den literarischen Ritterschlag.

Dabei schreibt der 68-jährige Autor bereits seit seiner Ende der 70er-Jahre erschienenen Trilogie um den spießigen Angestellten Abschaffel auf höchstem literarischen Niveau, und stets standen kauzige, eigenbrötlerische Verlierer im Mittelpunkt der Handlung: selbstverliebte, zumeist bindungsunfähige Melancholiker, introvertierte Tagträumer, die sich eine mittelmäßige Nischenexistenz eingerichtet haben.

Die Figuren wirken wie eineiige Zwillinge, ganz egal, ob es sich um einen Controller im Pharmakonzern, um einen in einer Wäscherei gestrandeten Philosophen oder wie im nun erschienenen Roman um einen freien Architekten handelt.

Der namenlose geschiedene Ich-Erzähler ist Anfang vierzig, zurückhaltend, bescheiden, aber auch etwas seltsam: "Ich suchte eine Frau, deren Anwesenheit ich ohne Fluchtgedanken ruhig ertrug." Maria scheint diesem Anforderungsprofil nicht in Gänze zu entsprechen. Von der häufig dem Alkohol frönenden Frau fühlt sich die Hauptfigur immer wieder unter Druck gesetzt. Nach dem plötzlichen Tod seines gleichaltrigen Kollegen Autz, mit dem die Handlung eingeleitet wird, fühlt sich der Architekt hin- und hergerissen zwischen Maria und Autz' Witwe Karin. Genazinos Protagonist nimmt in doppelter Hinsicht Autz' Platz ein - privat an Karins Seite und beruflich als Architekt im erfolgreichen Büro Erlenbach. Tiefe Zweifel quälen ihn am eigenen Handeln: Er pendelt gedanklich zwischen seiner Freiheit als Selbstständiger und handfest ausgemalten existenziellen Zukunftsängsten. Nur die Unentschlossenheit ist eine Konstante.

Der "normale" Alltag als nicht zu bändigender Dramen-Stoff und ein trauriger Held, der im letzten erzählerischen Akt im Gefängnis landet - das ist die neueste Variante von Genazinos anspielungsreichem "Theater" über die Katastrophen des sozialen Mittelstandes. Eigentlich stets der gleiche Stoff, doch immer wieder aufs Neue faszinierend zu lesen.

Wilhelm Genazino: "Wenn wir Tiere wären". Carl Hanser Verlag, 159 Seiten, 17,90 Seiten