Die Schriftstellerin erzählt in ihrem Roman “Wer das Schweigen bricht“ von einer grandiosen Vertuschung, die bis in die NS-Zeit zurückreicht.

Es sind unscheinbare Dinge, aufbewahrt in einem Zigarrenkästchen, die die Welt des Robert Lubisch auf den Kopf stellen. Vor wenigen Tagen ist sein Vater gestorben, ein wohlhabender Industrieller, die Familie lebte am Rande der Stadt in einer Villa, die Robert immer viel zu groß erschien, um dort heimisch zu werden. Jetzt ist er zurückgekehrt in das Haus des Vaters, um dessen Nachlass zu ordnen. Dort findet er, tief hinten in der Schreibtischschublade, das hölzerne Kästchen. Ein Passierschein liegt darin, namenlos, ein Entlassungsschein aus der Kriegsgefangenschaft, ausgestellt auf seinen Vater, ein SS-Ausweis, der den Namen Wilhelm Peters trägt, von Blut unkenntlich gemacht das Ausweisbild. Und das vergilbte Foto einer jungen Frau, die lächelt, als sei sie glücklich. Für Lubisch beginnt das Unglück mit diesem Foto.

Es ist die tragische Geschichte einer Spurensuche, von der Mechtild Borrmann, 1960 geboren, in ihrem Kriminalroman "Wer das Schweigen bricht" erzählt. Es ist auch die Geschichte von sechs jungen Menschen, die sich im Sommer 1939, kurz vor Ausbruch des Krieges, versichern, immer füreinander einzustehen. Drei Mädchen, drei Jungen, amourös unterfütterte Freundschaften, bevor es dunkel wird in ihrer Welt wie auch anderenorts, der Krieg kennt keine Freundlichkeiten. Eine Jugend ohne Gott.

Im Auftrag von Lubisch recherchiert die Journalistin Rita die Hintergründe des vergilbten Fotos. Lubisch möchte einen dunklen Fleck finden auf der so reinen Weste seines Vaters, der ihm die Nähe, die der Sohn brauchte, zumeist verweigert hat. Als Rita herausfindet, dass sein Vater offenbar nichts mit der unbekannten Frau zu tun hatte, ihn also kein Geheimnis, wie vom Sohn erhofft, umgab, bittet er Rita, ihre Recherchen einzustellen. Doch sie glaubt, einer großen Sache auf der Spur zu sein: Die Frau auf dem Foto ist Therese Mende, Eigentümerin einer internationalen Modekette. Am Tag darauf ist Rita tot, erschlagen mit einem schweren, stumpfen Gegenstand.

Mechtild Borrmann erzählt packend und atmosphärisch punktgenau von einer ungeheuerlichen Lüge, einer grandiosen Vertuschung entlang zweier Handlungsstränge - der eine zielt nach vorn auf die Lösung, der andere nach hinten, dort, wo alles gründet.

Therese war eine der einst befreundeten Jugendlichen, sie lebt mittlerweile auf Mallorca, zurückgezogen nach dem Tod ihres Mannes, hoch in einem Haus über den Klippen, von der weitläufigen Terrasse geht ihr Blick aufs Meer. Dort erreicht sie ein Anruf aus der alten Heimat am Niederrhein, eine Journalistin schnüffele dort herum, sie trage ein Foto von damals bei sich. Therese weiß, dies ist das Ende aller Lügen.

Und Robert Lubisch, der eigentlich nichts mehr wissen wollte von der Geschichte, macht sich auf und fliegt nach Mallorca, nachdem er erfahren hat, wo Therese wohnt. Es widerstrebt ihm zwar zu reisen, begleitet wird er von dunklen Ahnungen, doch er will nur noch eines wissen: die Wahrheit über seinen Vater.

Mechtild Borrmann: "Wer das Schweigen bricht". Pendragon, 224 S., 9,95 Euro.