Beim Schleswig-Holstein Musik Festival stehen der Festival-Chor, das Ensemble Sarband und Derwischtänzer gemeinsam auf der Bühne

Lüneburg. Kurz vor seinem Freitod 1935 strichelte Kurt Tucholsky im schwedischen Exil "Eine Treppe" aufs Papier. Die Treppe führt in drei Stufen vom Sprechen übers Schreiben zum Schweigen. Das einzige zeichnerische Relikt in Tucholskys großem publizistischen Werk war als Versuch der Auslöschung desselben aus Resignation zu verstehen - und lässt sich doch auch als tröstliche Erkenntnis umdeuten: Stille, die Vollendung geistigen Tuns.

Zu einem ähnlichen gedanklichen Dreischritt regte das Konzert des Schleswig-Holstein-Festival-Chors mit dem Ensemble Sarband am Donnerstag in der Lüneburger Michaeliskirche an. Geistliches Tun, vulgo: beten, schien sich hier in der sanften Steigerungsform singen, spielen, tanzen zu entfalten. Doch im Verlauf des Abends führte diese Treppe immer wieder in sich selbst zurück, als hätte nicht Tucholsky sie gezeichnet, sondern M.C. Escher.

Unversehens erschien so eine zweite Dreier-Ebene neben der, die der Leiter des Ensembles Sarband Vladimir Ivanoff mit dem Programm eigentlich verfolgte: Gleichberechtigung und Verwandtschaft zwischen Christen, Juden und Moslems vorzuführen mit den Mitteln einer Kunst, die den Anhängern aller drei Religionen gemeinsam ist: die Psalmen Davids. Ivanoff verband Vertonungen des Juden Salamone Rossi Hebreo, der beiden Christen Claude Goudimel und Jan Pieterszoon Sweelinck sowie des Kirchenmusikers Wojciech Bobowski, der nach seinem Übertritt zum Islam den Namen Ali Ufkî annahm. Alle vier wirkten in der Zeit des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts.

Entlegene Klänge also, die beim ausgezeichnet vorbereiteten Festival-Chor (Leitung: Stephen Connolly) zwischen vielstimmiger Kirchentagsemphase und der introvertierten Frömmigkeit gregorianischer Gesänge wechselten. Die Musiker des kleinen Ensembles spielten auf alten orientalischen Instrumenten, mal sparsam ihren Solosänger mit seinen arabisch verschlungenen Melodien, mal den Chor begleitend, mal augenscheinlich improvisierend miteinander. Zweimal vollzogen zwei würdevoll auftretende Derwische ihren lautlosen, meditativen Kreistanz gegen den Uhrzeigersinn. Ihre Versenkung in Bewegung erschien nicht als Weg zum Ziel Trance oder Ekstase, sondern als Körpergebet, das um seiner selbst willen ausgeführt wird, jenseits aller Absicht, in Stille. Da war es, Tucholskys Schweigen - freilich erlöst von allem Lebenskummer.