Wofür die Welt in Hamburg nicht alles herhalten muss

Als Kind habe ich mich stets gefragt, wie das funktionieren soll: Weltausstellung. So etwas unfassbar Großes konnte doch schlechterdings nicht in Vitrinen Platz finden, sodass die Leute drum herum laufen können, um die Welt.

Doch dann kam mein Bruder von einer Reise mit den Pfadfindern zurück nach Hause. Aus Brüssel brachte er ein Miniaturmodell des Atomiums mit. In echt, also in Belgien, ist die Skulptur 102 Meter hoch. Jede der neun Atomkugeln, die zusammen eine Eisenkristallstruktur darstellen, hat einen Durchmesser von 18 Metern. Das bedeutet eine 165-milliardenfache Vergrößerung. Langsam begann ich zu verstehen: Wenn etwas so Winziges so riesig werden konnte und dann wiederum so klein, dass es in den Rucksack meines Bruders passte, dann war das mit der Welt, nun ja, ziemlich relativ.

Gut, dass ich damals nicht wusste, dass der Physiker Stephen Hawking Jahre später ein noch viel radikaleres Buch veröffentlichen würde: "Das Universum in der Nussschale". Das mit der Welt, das war erst mal Schock genug.

Meine kleine Version von ihr, der Welt, reichte damals bis zu der Kreuzung, zu der ich alleine mit dem Rad fahren durfte. Die Ahnung, dass es hinterm Horizont weitergehe, reizte mich allerdings enorm. Wie duftete sie wohl, diese Große, Weite, Merkwürdige?

Eines Tages fuhr ich über die Kreuzung hinaus. Ich gelangte bis nach Hamburg. Und war schwer enttäuscht. Ich wollte die Welt erkunden. Und was fand ich? Lediglich das Tor zu ihr.

Letztlich erwies sich diese Pfortensituation jedoch als durchaus spannend. Stets hatten die Bewohner der Hansestadt die Welt vor Augen, ohne jemals wirklich in ihr leben zu können. An diesem Ort des Transits waren daher interessante Gebräuche rund um das Thema Erdball entstanden.

Im Alltag verhielten sich die Ansässigen möglichst unauffällig. Vielleicht, um jene illustren Gestalten nicht zu verschrecken, die von Hamburg aus in die wahre Welt starteten und auf der Durchreise Geld und Gedanken als Pfand hinterließen. Vielleicht aber fühlten sich die Bürger im Grunde ihres Herzens auch immer ein wenig zurückgesetzt, da sie eben nur am Eingang standen, warteten, die Tür aufhielten, aber nie und nimmer hineinkamen.

Dieser Komplex äußerte sich auch sprachlich. Wofür die Welt in Hamburg nicht alles herhalten musste! Wurde eine Fußballmannschaft aus dem Süden besiegt, wurde der Gewinner direkt zum "Weltpokalsiegerbesieger" gekürt. Der Rotlichtbezirk musste die "sündigste Meile der Welt" sein. Und in der Stadt wurde sogar eine Zeitung gegründet, die so heißt: "Die Welt". Nur den "weltbesten Karlsson" konnten gerade noch die Schweden für sich retten.

Um die Stimmung unter ihrer Bevölkerung zu heben, veranstalteten die Oberen einmal im Jahr ein rauschendes Fest, das von der örtlichen Biermarke begütert wurde. Beim Namen, klar, wurde erneut groß geklotzt: Weltastratag. Bei dessen Gründung soll folgender Satz seinen Ursprung gefunden haben: "Think Global, Act Local". Der Leitspruch ist mittlerweile weltweit bekannt. Nur, dass die Hamburger - mal wieder - von der Welt missinterpretiert worden sind. International als Stärkung des Regionalen in Zeiten der Globalisierung verstanden, hatten die Hanseaten für ihren einzigen Weltfreudentag im Jahr ganz anderes im Sinn: "Denke global, handele Lokal". Eine Anweisung. Brot für die Welt? Ja. Aber das Flüssigbrot bleibt hier. Handele Lokal. Gehe zur Kneipe. Sofort. Tresen. Hocker. Pils. Blume. Alkoholisierte Atome. Das Universum in der Trinkschale. Was Stephen Hawking wohl dazu sagen würde?

Welt-Astra-Tag Sa 30.7. Weltniveau (live) Do 28.7., 19.30, Barkasse "Hedi" (S Landungsbrücken), St. Pauli-Landungsbrücken 10, Eintritt: 8,- im Vvk, 10,- Ak.; www.frauhedi.de