Peter Temple hat mit “Wahrheit“ einen starken Krimi geschrieben

Australien verbinden wir mit Weite, unberührter Natur, Kängurus und Sonnenaufgängen am Ayers Rock. Ein Urlaubsziel und verheißungsvoller Kontinent, auf dem die Uhr anders tickt als bei uns. Peter Temple räumt in seinem Roman "Wahrheit" mit diesen romantischen Vorstellungen auf. Melbourne, zweitgrößte Stadt Australiens, ist bei ihm ein modernes Babel. Hinter schönen Fassaden und großspurigen Zukunftsprojektionen agieren mächtige Investoren und ihnen willfährig ergebene Politiker und leben ihre Gier und sexuellen Perversionen aus. Selbst vor Mord schrecken sie nicht zurück.

Mittendrin in dieser Melange aus Korruption, feudalen Partys und einem kaum durchschaubaren Beziehungsgeflecht steckt Stephen Villani, Leiter des Morddezernats. Er will den Mord an einer jungen Prostituierten aufklären, die in einem noblen Apartmenthaus tot aufgefunden wurde. Auch den Fall dreier zu Tode gefolterter Gangster hat er an den Hacken. In dieser Sache machen seine Vorgesetzten mächtig Druck, den Prostituierten-Mord möchten sie dagegen unter den Teppich kehren.

Villani ist ein moderner Held, zerrissen zwischen dem Anspruch, ein guter Polizist zu sein, und dem Versagen als Vater, Ehemann und Sohn. Seine 15 Jahre alte Tochter treibt sich in üblen Kreisen herum und nimmt harte Drogen, mit seiner Treulosigkeit hat er seine Ehe zerstört, um seinen außerhalb der Stadt lebenden Vater sorgt er sich, weil Buschfeuer dessen Farm bedrohen. Feuer ist gleichzeitig eine Metapher für Villanis Leben. Immer neue Brandherde flammen privat und beruflich auf. Je dichter die Feuerwalze sich seinem Elternhaus nähert, desto mehr Energie muss er aufwenden, um die Katastrophen seines Lebens in den Griff zu bekommen. Doch trotz aller Schwierigkeiten und Repressalien von außen und eigener Unzulänglichkeiten steht Villani für eine moralische Haltung. Er will Gerechtigkeit und Wahrheit.

Temple erzählt diesen Polizeiroman in einer knappen Sprache, der Jargon der Polizisten ist lakonisch, oft ruppig, manchmal bösartig. Hier wird eine Männerwelt beschrieben, in der Machtverhältnisse das Verhalten bestimmen. Der Autor lässt eine Fülle von Personen auftreten und schafft einen undurchschaubaren Apparat, in dem Villani sich behaupten muss. Aber diese Verwicklungen schaffen Spannung. Der Leser bewegt sich mit dem Protagonisten in einem Netz aus Bürokratie, Korruption und Selbstzweifeln.

Peter Temple, 1946 in Südafrika geborener und seit 20 Jahren in Australien lebender Schriftsteller, hat für "Wahrheit" den wichtigen australischen Literaturpreis Miles Franklin Award bekommen und nach "Kalter August" (2007) erneut gezeigt, dass er zu den aufregendsten Krimiautoren der Gegenwart gehört. "Wahrheit" zeichnet ein düsteres Bild der Gegenwart, denn Melbourne kann überall sein. In New York, Paris oder in Berlin.

Peter Temple: "Wahrheit". Deutsch von Hans M. Herzog, Bertelsmann 476 S., 21,99 Euro