Maja Haderlap nähert sich in “Engel des Vergessens“ ihrer Kindheit und dem, was ihrer slowenischen Familie in Kärnten widerfahren ist

Zelezna Kapla steht auf dem Ortseingangsschild von Bad Eisenkappel im südlichsten Winkel Österreichs. Hier wurde Maja Haderlap vor 50 Jahren geboren, die vor Kurzem den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt gewonnen hat. Sie hatte einen Auszug aus dem jetzt erschienenen Roman "Engel des Vergessens" geschrieben, der in dieser zweisprachigen Gegend spielt.

Es ist eine autobiografische Annäherung an das, was sie in ihrer Familie, von den Großeltern, dem Onkel, dem eigenen Vater als Kind vernommen hat. Sie hat die Erzählungen aus der Vergangenheit auf Slowenisch, ihrer Muttersprache, gehört. Um jetzt, nach Jahrzehnten der Reifung im Innern, aus diesen Erzählungen einen wunderbaren Roman zu schreiben, wechselte Maja Haderlap in die Erzählsprache Deutsch - und genau das hat den notwendigen Abstand geschaffen zu dem auf Slowenisch Gehörten.

Dieser Abstand hat dem Roman gutgetan. Er verleugnet seine österreichische Färbung des Deutschen nie. Das Buch ist reine Erzählung, aber nicht fiktiv, es klingt in schöner poetischer Höhe und ist zugleich die faktische Wahrheit des Erzählten.

Das Mädchen, das die Erinnerungen in seiner Familie hört, lernt aus ihnen die Geschichte des slowenischen Volkes in Kärnten kennen. Es versteht die Zusammenhänge nicht gleich. Die slowenische Volksgruppe in Kärnten - alle waren ja seit dem "Anschluss" Bürger des "Großdeutschen Reiches" - beteiligte sich zahlreich am Partisanenkampf gegen Wehrmacht und die nationalsozialistische Unterdrückung. Der Wald war ihr Rückzugsgebiet.

Der Wald ist auch für das Mädchen ein Raum vertiefender Erfahrung. Die Großmutter war zwei Jahre im KZ Ravensbrück deportiert und beschließt eines Tages, der heranwachsenden Frau vom Lager zu erzählen. Die erlebt andererseits die Schwäche ihres Vaters und leidet darunter. Aber sie entwickelt sich, je mehr sie erfährt und erkennt. Die Frauen sind in dieser Zeit und auch in diesem Roman von Maja Haderlap die stärkeren Personen. Sie selbst hat, aus dem Mädchenalter herausgewachsen, Theaterwissenschaft und Germanistik studiert, hat erste Gedichte geschrieben - auf Slowenisch.

Auch von dieser, ihrer eigenen Entwicklung erzählt die Autorin, von dem wachsenden Bewusstsein für das, was in ihrer Familie geschehen ist und was die Slowenen in Kärnten gemacht und mitgemacht haben.

"Der Engel des Vergessens dürfte vergessen haben, die Spuren der Vergangenheit aus meinem Gedächtnis zu tilgen", sagt die Autorin gegen Ende ihres Romans. Sie hat lange gebraucht, ehe sie sich entschlossen hat aufzuschreiben, was dieser Engel des Vergessens pflichtwidrig in ihrem Gedächtnis zurückgelassen hat.

Sie hat es in ihrer Erinnerung reifen lassen, um ihm in der poetischen Form Sprache zu geben, in der es sich jetzt präsentiert. Sie findet schöne Worte für den Wald, traurige für die menschlichen Katastrophen, intelligente und nachdenkliche zur Gegenwart, zu Österreich und Europa.

Das Buch erzählt von dramatischen Geschehnissen und tiefen Empfindungen. Nie drängt es sich dabei dem Leser auf, lässt ihm die Luft zu eigener Einschätzung. Die Autorin kann sicher sein, dass sie mit ihren schönen literarischen Mitteln bewegt und auch überzeugt, und jeder Leser kann sicher sein, dass die Autorin aus ihrer eigenen Überzeugung schreibt.

Es ist diese poetische Wahrhaftigkeit, der ehrliche Umgang mit sich selbst, mit der Familie und der Geschichte, der die Schönheit dieses großartigen Romans ausmacht.

Maja Haderlap: "Engel des Vergessens". Wallstein, 288 S., 18,90 Euro