Vor rund anderthalb Jahren veränderte das Manifest “Not In Our Name, Marke Hamburg!“ die Hansestadt - nun ziehen die Macher Bilanz.

Hamburg. Mehr als 5500 Menschen haben ihr Veto eingelegt. Alte und Junge. Kreative und Künstler. Ganz normale Hamburgerinnen und Hamburger. Das Rathaus erlebte sein "Stuttgart 21" mit einem heruntergekommenen Quartier in der City und mit einem Text, der Politikern und Investoren Ende Oktober 2009 sagte: So nicht. Wir lassen uns von euch nicht länger verkaufen. Und erst recht nicht für dumm.

Das Manifest "Not In Our Name, Marke Hamburg!" bestand zwar nicht wie weiland bei Luther aus 95 Thesen, und statt an eine Kirchentür in Sachsen-Anhalt wurde es zur Begutachtung an ein effektiveres Schwarzes Brett im Internet genagelt. Es setzte eine Bewegung in Gang, die etliche Businessmodelle ins Wanken oder ganz zu Fall brachte. An einigen Orten sieht Hamburg seitdem anders aus als von Investoren berechnet.

Vorgestellt wurde das Manifest nach kollektiver Verfassung bei einer Pressekonferenz im Gängeviertel, das gut drei Monate zuvor von Künstlern adoptiert wurde, um es vor dem x-ten Verkaufsversuch zu bewahren. Mit dabei waren auch der Journalist und Autor Christoph Twickel, Uebel & Gefährlich-Chef Tino Hanekamp, die Szenegrößen Rocko Schamoni und Ted Gaier. Tags darauf wurde in der Stadt die gefälschte Persiflage auf ein Magazin der Hamburg Marketing GmbH verteilt, in dem der Text nachzulesen war. Das Abendblatt und später die "Zeit" druckten ihn ab.

Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Viel ist passiert seitdem, an unterschiedlichen Adressen, aus sehr unterschiedlichen Gründen. Der Maler Daniel Richter wurde Schirmherr fürs Gängeviertel. Die "Recht auf Stadt"-Bewegung etablierte sich. Es gab Protest auf dem Kiez, beim Bernhard-Nocht-Quartier und jüngst bei den Esso-Häusern. Das Oberhafenquartier, zuvor als HafenCity-Speckgürtel gedacht, wurde als Kultur-Areal ausgerufen. "Komm in die Gänge"-Buttons wurden Pflicht-Accessoire bei Sympathisanten, ebenso die mit "Wir sind das Schauspielhaus" und "Altonaer Museum bleibt". Ein Kultursenator ging. Per Leerstandsmelder im Internet ist nun klar zu erkennen, wo wie gesündigt wird. Die Rote Flora sitzt heute am längeren Hebel, ihr Besitzer zog den Kürzeren.

Es gab aber auch Niederlagen für die Manifest-Fraktion: Künstler zogen aus dem ehemaligen Karstadt-Gebäude in der Großen Bergstraße aus; ein Ikea-Kaufhaus wird dort gebaut, weil per Bürgerbegehren so entschieden wurde. Und es sind damals wie heute kritische Fragen zu stellen: Kann Künstlern Angenehmeres passieren, als in einer Stadt zu wohnen, zu leben und zu arbeiten, die stolz auf sie ist und das jenseits ihrer Grenzen sagt? Sind nur ungeförderte Künstler gute Künstler? Macht Staatsknete vielleicht reich, aber garantiert schlecht? War und ist das Manifest an sich nicht eine recht elitäre Angelegenheit? Diese entscheidenden Fragen des Umgangs miteinander wurden von den Initiatoren und den Konfliktparteien nicht einmal ansatzweise diskutiert.

Christoph Twickels "Not In Our Name"-Bilanz fällt weitgehend positiv aus: "Bestimmte Gedanken in die Welt zu bringen, das ist uns gut gelungen. Wir haben viele Gehirne in Bewegung gesetzt und Themen wie Gentrifizierung und die Rolle der Kulturschaffenden dabei auf die Agenda gebracht."

Bei all den faktischen politischen Erfolgen ist Twickel aber Realist genug, um unerfüllte Wünsche einzuräumen: "Natürlich haben wir nicht geschafft, dass die Hamburg Marketing GmbH aufgelöst wird. Die Elbphilharmonie wird gebaut, Ikea kommt trotzdem nach Altona." Die Solidarisierung von Künstlern und Kreativen, um sich mit sozialen Fragen der Gesellschaft auseinanderzusetzen, habe viel bewirkt. "Mehr kann man von einem politischen Text eigentlich nicht verlangen."

Auch für das Gängeviertel war das Manifest ein Katalysator, trotz aller Differenzen über die Forderungen. Derzeit laufen die Gängeviertel-Verhandlungen mit der Stadt noch, erklärt Initiativen-Sprecherin Christine Ebeling. Man hofft für Anfang August auf die Unterzeichnung des Kooperationsvertrags.

Mittlerweile sind die Geschehnisse rund um "Not In Our Name, Marke Hamburg!" zu Themen von Diplomarbeiten geworden. Protest-Kultur und Kultur-Protest als Studienobjekte.

"Ich repräsentier' meine Stadt, bis ich dahinscheide" . Golem, Große Elbstraße 14, 20 Uhr. Diskussion mit Christoph Twickel (Autor), Hannah Kowalski (Künstlerin), Kerstin Stakemeier (Kunsthistorikerin), Hans-Christian Dany (Künstler, Publizist), Hans Stützer (Moderation). Eintritt frei.

"Komm in die Genossenschaft" . 20 Uhr, Gängeviertel, Valentinskamp 39. Mit Vertretern der Gängeviertel eG i. G., der Mietergenossenschaft Falkenried-Terrassen eG, der Alternativen am Elbufer eG, "No BNQ", Schanze eG und der MieterInnengenossenschaft Karolinenviertel.