Der Berliner Künstler Marc Brandenburg lässt Momente mit dem Bleistift gefrieren - die Kunsthalle widmet ihm eine faszinierende Ausstellung.

Kunsthalle. Er mache "zarte Bleistiftzeichnungen", steht in einer Ankündigung zur Werkschau Marc Brandenburgs. Das könnte stimmen. Aber nur, wenn man das Adjektiv "zart" auf die Technik des Künstlers bezieht, auf seine Handgriffe. Denn die Zeichnungen Brandenburgs wirken ultrahart: "Grafit auf Papier" heißt die Methode, Menschen, Gegenstände und Szenen sind die Motive. Sich selbst malt Brandenburg mit preußischer Pickelhaube, ein Mann mit breiter Nase und stechendem Blick, soldatisch eben. Das selbstironische Selbstporträt ist Bestandteil der Brandenburg-Ausstellung, die bis zum 9. Oktober in der Hamburger Kunsthalle zu sehen ist.

Marc Brandenburg, das ist natürlich ein Künstlername (den, mit dem er geboren wurde, hält er geheim). Und was für einer: urpeußisch. Eben das, was der 1965 als Sohn einer Deutschen und eines afroamerikanischen GIs in Westberlin geborene Zeichner gerade nicht ist. Brandenburg bezeichnet sich selbst als "Bastard". In seinen Werken vermischt sich nichts, im Gegenteil zeigen sie schroff voneinander geschiedene Weiß- und Schwarzflächen. Sie wirken wie die Negative von Fotos, das ist Brandenburgs Markenzeichen. Der Saal der Meisterzeichnung in der Kunsthalle ist deswegen derzeit eine Dunkelkammer - oder ein Darkroom.

Brandenburg findet seine Motive oft im Nachtleben, all die skurrilen Szene- und Klubgänger (das "Berghain" ist Brandenburgs Lieblingsschuppen) zum Beispiel, die Lederleute mit Peitschen oder die Drag-Queens. Der Distinktionswille der Helden der Nacht wird deutlich, die von Brandenburg gezeichneten Menschen (oft Freunde; immer werden die Modelle und Motive fotografiert, durch den Kopierer gejagt und dann abgezeichnet) gehen eher selten in der Masse unter. Nämlich nur dann, wenn sie etwa keine pobackenfreien Beinkleider, sondern schlicht ein "Metallica"-T-Shirt tragen oder ein Polo-Shirt von "Fred Perry".

Brandenburgs Arbeiten, die auch im Museum of Modern Art in New York zu sehen sind, sind natürlich von der Popkultur beeinflusst; so, wie sie sich uns auf den Straßen Berlins (und theoretisch auch Hamburgs) darbietet.

Er zeichnet BMX-Fahrer, Fußballfans in "Schland"-Montur und Demonstranten am 1. Mai. Sie sind soziale Wesen, die sich in ihrer Umgebung positionieren und von ihr absetzen, entweder als einzelne oder als Gruppe. Die Riege der Verrückten aus der Disco wird von ikonischen Popstars komplettiert: Die Portraits von Yves Saint Laurent und Michael Jackson arbeiten wie alle Bilder Brandenburgs mit harten Kontrasten. Der engelsgleiche Modemacher, nackt auf Stoff posierend, wirkt nach Brandenburgs Gestaltung wie die statuenhafte Ewigkeit. Michael Jackson (mit Handschuh und Schatulle) wie der Freak, der er immer war.

Brandenburg bildet entschieden die Zeichenhaftigkeit unserer Welt ab: Ob sich das in dem Hakenkreuz äußert, das auf einen behaarten Unterarm tätowiert ist, oder dem Kühlturm, der in einer pechschwarzen Umgebung zum Beispiel die Energiedebatte unserer Tage symbolisiert. Bei Brandenburg wird der Alltag in seiner Konflikthaftigkeit und Schönheit zum Phänomen unter Schwarzlicht. Die Augen seiner Modelle phosphorisieren, das ist mehr als ein Licht-Effekt. Es gibt den Zeichnungen durchaus einen Grusel-Faktor, wie überhaupt die Stoffmasken, Hasenköpfe und mumifizierten Häupter, die in Brandenburgs Arbeiten auftauchen, düsteren Glamour oder die dunkle Seite der Nacht repräsentieren.

Die von Brandenburg ebenfalls gezeichneten Weihnachtskugeln und Jahrmarktkarussells sind eindeutig positiv konnotierte Gegenstände und Erscheinungen. Ihrer Schönheit gehen sie übrigens trotz Brandenburgs handwerklich schroffer Interpretationen keineswegs verlustig.

Man kann Brandenburgs Zeichnungen auch als Kommentare eines Außenseiters lesen. Er ist schwarz und schwul. Als der Teenager in den 80er-Jahren aus Texas nach Berlin zurückkehrte, schloss er sich der Punkszene und linken Subkultur an. Brandenburg verdiente sein Geld zunächst als Türsteher und als Modedesigner, ehe er in den Neunzigerjahren, als Autodidakt, Zeichner wurde.

Die gelungene Hamburger Werkschau bildet die ganze Spannbreite seines Schaffens ab. Manche Motive sind bis zur Abstraktion verfremdet, gemeinsam ist ihnen allen, dass sie wie festgefroren im Augenblick wirken - selbst dann, wenn sie auf kunstfertige Weise "verwischt" wirken (bei grundsätzlicher Detailversessenheit) und sequenziell eine Szene wiedergeben. In diesem Moment ist Brandenburgs Arbeitsweise paradox: Sie fängt einen dynamischen Moment ein und lässt ihn dann, mit dem Bleistift, gefrieren.

Marc Brandenburg: Zeichnung bis 9. Oktober, Kunsthalle (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-21.00, vor Feiertagen 10.00-18.00, Eintritt 10,-/5,-