Oberammergau feierte die Premiere von Christian Stückls “Joseph und seine Brüder“

Oberammergau. Am Schluss "sprach er zu ihnen, und sie lachten und weinten zusammen, und alle reckten die Hände nach ihm, der unter ihnen stand, und rührten ihn an, und er streichelte sie auch". Der Schriftsteller Thomas Mann verfasste diese Zeilen, sie stehen am Ende der Romantetralogie "Joseph und seine Brüder", die er zwischen 1933 und 1943 veröffentlichte. Das mehr als 2500 Seiten starke Werk diente Regisseur Christian Stückl als Vorlage für eine gleichnamige Inszenierung, die am Freitagabend im Passionstheater von Oberammergau uraufgeführt wurde.

Der Mann, den alle berühren möchten, ist Joseph. Er sieht gut aus, ist intelligent und will ganz nach oben. Sein Vater Jaakob liebt ihn über alles und vermacht ihm das Familienerbe. Die eifersüchtigen Brüder verprügeln Joseph, werfen ihn in einen Kerker und verkaufen ihn als Sklaven. Die Szene bildet den Auftakt der Inszenierung, bei der Regisseur Stückl mit sicherer Hand durch den biblischen Stoff führt. Die Laienschauspieler, das Orchester, der Kirchen- und der Jugendchor, sie alle stammen aus dem Ort und haben nächtelang geprobt für die Premiere. Die Erfahrung der Passionsspiele von 2010 ist ihnen inzwischen anzumerken.

Grandios ist die Inszenierung, wenn Stückl die rund 200 Darsteller in blauen Gewändern über die riesige Bühne schickt. Wenn sie vor der fahlen Szenerie mit Waldlandschaft und Fluss, Tempel und Olivenbaum stehen und wild gestikulieren, schreien und singen, geht ein Raunen durch das Publikum. Auch die ironische Brechung von Thomas Manns Texten überträgt Stückl gekonnt auf die Bühne, sorgt für Spannung und Heiterkeit, wenn etwa Fackeln brennen oder Kamele über die Planken gescheucht werden.

Am Schluss haben der Vater, Joseph und seine Brüder ihre Lektion gelernt. Der Glaube an Gott hat gesiegt, und alle betrachten ihr "Schicksal mit heiterer Hand". Ein letzter Trommelwirbel, dann wird es still im Passionstheater. Das Publikum klatscht lange und anhaltend. Eine Zuschauerin murmelt ergriffen "super", und auch dem bayerischen Landesbischof Johannes Friedrich hat's gefallen: "Unglaublich", sagt er, "da steckt eine Menge Bibel drin."

Im Oberammergauer Theater stehen die Darsteller, Musiker und Fans um den Spielleiter und Regisseur Stückl. Und dann "sprach er zu ihnen, und sie lachten und weinten zusammen, und alle reckten die Hände nach ihm, der unter ihnen stand, und rührten ihn an, und er streichelte sie auch. Und so endigt die schöne Geschichte und Gotteserfindung von Joseph und seinen Brüdern."