Der Regisseur und ehemalige Thalia-Intendant Jürgen Flimm wird an diesem Sonntag 70 Jahre alt. Eine Gratulation für den “Papa“.

Hamburg. Als Intendant ist er der "Papa" alter Schule. Einer, zu dem jeder Mitarbeiter mit seinen Sorgen kommen kann. Wenn es an Geld fehlt, die Frau krank ist, der Mann trinkt - wer bei Jürgen Flimm engagiert war, weiß, der Chef versucht in allen Fällen zu helfen. Flimm ist, nicht nur weil er gläubiger Christ und Sohn zweier Ärzte ist, ein Mensch, der das hat, was man heute so gern als Empathie bezeichnet. Er ist Enthusiast. Auch künstlerisch. Am Sonntag wird Jürgen Flimm 70 Jahre alt.

Wer Inszenierungen von ihm gesehen hat, der weiß, wie sehr er sich für Tschechow und Shakespeare, für Kleist, Büchner, Ibsen oder Schnitzler begeistert. Wie sehr sich diese Begeisterung auf die Zuschauer überträgt. Wer Flimm als Gesprächspartner kennt, weiß von seiner glänzenden Überredungsgabe, von seinem Talent, Menschen, Situationen und Probleme lebensnah und schillernd darzustellen. Notfalls selbst vorzuführen, unter Einsatz vielfältiger Stilmittel. Vielleicht war das nicht immer nur leicht für die Schauspieler, mit denen er gearbeitet hat. Denn Flimm kann nicht nur Regie führen, er kann auch spielen, und zwar so, dass man eine Figur bis auf die Knochen erkennt. Aber möglicherweise hat gerade das Theatertier in ihm dazu geführt, dass er immer die besten Ensembles an seinen Theatern in Köln - wo er vor Hamburg Intendant war - und in Hamburg hatte.

Man muss heute nur mal ins Fernsehen schauen und staunt, wie viele Flimm-Schauspieler man da sieht. Jan Josef Liefers, Stefan Kurt, Lena Stolze, Justus von Dohnanyi, Charlotte Schwab oder heutige Bühnengrößen wie Annette Paulmann, Sven-Eric Bechtolf. Jürgen Gosch und George Tabori haben bei ihm am Thalia inszeniert, Katharina Thalbach, Martin Kusej. Und dann gab es die großen Bob-Wilson-Abende, "Black Rider", "Alice", "Poetry".

Nun ist er ja in Berlin. Als Intendant der Staatsoper Unter den Linden. Seine Kölner Herkunft wird er aber nie leugnen können. Und eigentlich gehört Jürgen Flimm nach Hamburg. Hier hat er Karriere gemacht. In den 70er-Jahren, als Regisseur am Schauspielhaus und am Thalia-Theater. Und dann in seiner großen Zeit als Intendant des Thalia-Theaters von 1985-2000. Als er dort wegging, wollte er nie wieder Theater machen - was hoffentlich nicht wahr bleibt. Er hat sich ganz der Oper zugewandt. Er hat an allen großen Opernhäusern der Welt inszeniert, von Bayreuth bis New York, wo er mit "Fidelio" den dann wohl doch größten künstlerischen Erfolg seines Lebens feierte. 2004-2009 leitete er die Ruhrtriennale, 2006-2010 die Salzburger Festspiele. Flimm war Hochschullehrer und hat Filme gedreht. Zu allem Überfluss kann er auch noch wunderbar schreiben.

Flimm ist als Regisseur Schüler von Fritz Kortner, einem Regisseur, der ebenso entfesselt wie penibel arbeitete. Etwas, das wohl heute kaum noch einer versteht, das aber für mindestens zwei Jahrzehnte die höchste Auszeichnung war, die ein Theaterkünstler bekommen konnte. Er beherrscht die Parameter der Bühnenkunst, weiß alles über Licht, Zeit, Raum, Rhythmus und Bewegung, lässt Schauspieler ins Innerste ihrer Figuren steigen. Besondere Liebe hatte Flimm immer für Tschechow-Figuren, unglückselige Träumer, die über ihre Verhältnisse leben und dadurch auch komisch wirken.

Flimm ist der Regisseur für große Stoffe. "Peer Gynt" hat er in Hamburg gezeigt, "Hamlet", "Die Nibelungen", "Das weite Land", Shakespeares "Lear", "Richard III." und "Wie es euch gefällt".

"Platonov", der 1989 am Thalia herauskam, zählt sicher zum Schönsten, das Flimm je inszeniert hat. Vier Stunden konnte man diesem zum Heulen komischen Menschenzoo zuschauen, und man hatte noch lange nicht genug. Mach's noch einmal, Flimm!