Regisseur Asghar Farhadi ist mit “Nader und Simin“ ein überragendes Drama gelungen, das auf der diesjährigen Berlinale den goldenen Bären erhielt.

Ein Ehepaar aus Teheran vor dem Scheidungsrichter. Simin (Leila Hatami) will mit ihrer heranwachsenden Tochter Termeh (Sarina Farhadi) den Iran verlassen. Nader (Peyman Moadi) hingegen, Bankangestellter von Beruf, will keinesfalls emigrieren, zumal er sich um seinen altersdementen Vater (Ali-Asghar Shahbazi) kümmern muss. Darum hat Simin die Scheidung eingereicht. Nun streiten sie sich vor dem Richter. Ein wenig unglaubwürdig wirkt diese Szene, von der Logik des Anlasses her, aber auch emotional. Denn dass sich Nader und Simin nicht mehr lieben, will man bei der Leidenschaft, mit der sie die Klingen kreuzen, gar nicht glauben. Und doch funktioniert die Szene als Katalysator für die nun folgenden Konflikte, die Regisseur Asghar Farhadi ebenso komplex wie anspruchsvoll miteinander verknüpft.

Der Richter verwehrt die Scheidung - mit schwerwiegenden Folgen: Simin zieht zurück zu ihren Eltern, Termeh bleibt bei Nader. Doch wer soll sich nun um den kranken Vater kümmern? Nader engagiert für die Pflege Razieh (Sareh Bayat), eine junge Mutter, deren schwarzer Tschador auf ihre Frömmigkeit verweist. Mit der Pflege des verwirrten Vaters ist Razieh schon bald überfordert. Als der alte Mann sich einmal in die Hose macht, bittet sie erst telefonisch einen Geistlichen um die Erlaubnis, ihn waschen zu dürfen. Eines Tages bindet sie ihn einfach ans Bett und verlässt die Wohnung, um Besorgungen zu machen. Nader ist entsetzt, als er überraschend zurückkehrt. Er stößt Razieh gewaltsam, ohne Lohn, aus der Wohnung.

Und nun führt Farhadi eine weitere Wendung ein, die die Komplexität der Handlung noch einmal verschärft und dabei fast schon als Traktat über Realität und ihre unterschiedliche Wahrnehmung fungiert. Razieh war nämlich schwanger und hat bei dem Streit mit anschließendem Sturz ihr ungeborenes Kind verloren. Hat Nader von der Schwangerschaft gewusst? Wenn ja, würde er des Totschlags angeklagt.

Nicht einmal als Zuschauer ist man mehr sicher über die Fakten, über das Gesehene und Gehörte. Mit einem Mal sind alle Beteiligten in einem Knoten aus Lügen, Scham, Unnachgiebigkeit, Verletzungen, Drohungen, Forderungen und Beschuldigungen gefangen.

"Nader und Simin - Eine Trennung" wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen von Berlin mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, alle Darsteller wurden für ihre Leistung mit dem Silbernen Bären bedacht. Zu Recht - der Film ist ein zutiefst menschliches Drama, in dem sich die Spannungen zwischen den Figuren, bedingt durch ein sorgfältig konzipiertes Drehbuch, auf beklemmende Weise auf den Zuschauer übertragen. Besonders der Konflikt zwischen Nader und Razieh berührt zahlreiche Probleme der heutigen iranischen Gesellschaft, vom Zusammenleben der Geschlechter, das hier vor allem als Gegeneinander erscheint, bis zum Gefälle der sozialen Klassen, das die Kontrahenten durch Wohnort, Bildung, Religion, Arbeit und Einkommen noch weiter voneinander entfernt. Farhadi folgt dabei seinen Figuren und beobachtet sie, fast beiläufig: Amtsstuben, Wohnungen, Schulen, Straßenverkehr, Geschäfte. Wie bei einem Mosaik setzt sich so das Bild unterschiedlicher großstädtischer Lebensentwürfe zusammen, die gleichwohl eines gemeinsam haben: Hier geht es um Menschen, Frauen vor allem, die sich in einer unfreien Gesellschaft ein wenig Freiraum erkämpfen. Geschlossene oder sich schließende Türen, die den Zugang verwehren und Lebenschancen verweigern, sind darum ein stetes Motiv des Films

In der zweiten Hälfte nimmt der Film fast schon die Züge einer griechischen Tragödie an. Nader zwingt seine Tochter, für ihn zu lügen, und stürzt sie so in einen Loyalitätskonflikt, der nicht nur ihre Integrität infrage stellt, sondern auch ihr moralisches Wertesystem. Ein Vertrauensverlust - so bestürzend, dass man sich der dramatischen Wucht dieses Films nicht mehr entziehen kann.

Bewertung: überragend

Nader und Simin - Eine Trennung Iran 2011, 122 Min., ab 12 J., R: Asghar Farhadi, D: Leila Hatami, Peyman Moadi, Shahab Hosseini, täglich im Abaton, Zeise; www.nader-und-simin.de