Laura Linney begeistert in der TV-Serie “The Big C“ als Krebskranke, die durch ihre Krankheit erst das Leben entdeckt.

In Daily Soaps dient Krebs meist dazu, dass eine Figur, die ihren Zweck erfüllt hat, zügig vom Bildschirm verschwindet. Krebs verleiht Fernsehdramen, die Gefahr laufen, zu trivial zu wirken, ein wenig Gehalt. Man ist also erst mal skeptisch, wenn eine Serie sich als Krebs-Comedy ankündigt. Und gleichzeitig ist man gespannt, schließlich spielt die Hauptrolle niemand Geringeres als Laura Linney. Linney, die im US-Kino seit Jahren eine anspruchsvolle Nebenrolle an die nächste reiht, etwa in "Die Geschwister Savage" und "Der Tintenfisch und der Wal", die immer glänzte und doch nie den ganz großen Durchbruch feiern konnte, ist nach Glenn Close ("Damages"), Holly Hunter ("Saving Grace") und Toni Collette ("The United States of Tara") ein weiterer Arthousestar, der im Fernsehen eine Zweitkarriere startet.

Linney spielt Cathy Jamison, eine High-School-Lehrerin mit Durchschnittsehe und beginnender Midlife-Crisis, bei der Hautkrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert wird. Diesem Umstand verdankt "The Big C" seinen Namen, das C steht für cancer, Krebs. Und doch ist von den ersten Bildern an klar, dass wir nicht in den Untiefen des Melodrams herumwaten; es erwartet uns in den insgesamt 13 Folgen kein tränenreiches Abarbeiten einer "Dinge, die ich immer schon mal tun wollte"-Liste. Keine Chemotherapie, kein Zurück zur vermasselten Beziehung oder in die eigene Kindheit.

Vielmehr dient die Krankheit als unfreiwilliger Energiebooster, getreu dem Motto: Wenn schon verkürzte Lebenszeit, dann aber doppelt, ach was, zehnmal so viel Spaß. Geld wird fortan verprasst. Für einen Schokobrunnen, ein Angeberauto und einen Swimmingpool im Garten, der ausreichend Platz für einen eleganten Kopfsprung bietet. Fühlt sich an wie Freiheit. Ein Kick in der Alltagsöde. Zu Cathys innerer Erleuchtung (die nicht so Zen-artig daherkommt, wie es vielleicht klingen mag) führt jedoch folgende Erkenntnis: Sie ist umgeben von Misanthropen, Schmarotzern und zerknüllten Seelen. Die Glücksbereitschaft in ihrem Umfeld ist gleich null.

Da wäre Sohn Adam, mundfaul bis in den späten Nachmittag hinein und zufrieden einzig beim heimlichen Pornoschauen unter der Bettdecke. Weiter die besorgniserregend übergewichtige Schülerin Andrea, deren Lebensinhalt aus einer Überdosis Sahne-Milkshakes und dem anschließenden (erfolglosen) Abtrainieren beim Joggen besteht, sowie Cathys zauseliger Bruder, ein Konsumgegner, der sein Essen aus dem Müll zusammenklaubt. Nicht zu vergessen Ehemann Paul (umwerfend verpeilt: Oliver Platt), ein Teddybär mit dem Herzen am rechten Fleck, der sich nicht selten wie ein Kleinkind aufführt. Lebensverweigerer also, so weit das Auge reicht. Das will sie ändern, beschließt Cathy. Und fängt mit dem eigenen Leben an.

Laura Linney gewann für "The Big C" in diesem Jahr den Golden Globe als beste Seriendarstellerin - hochverdient. Ihr ist es zu verdanken, dass Cathys Wandel vom Vorstadtschmusekätzchen zur Frau, die kein Vielleicht, kein Später und keine Floskeln mehr duldet, nicht aufgesetzt erscheint, sondern charmant, in den besten Szenen sogar richtig komisch. Etwa wenn sie volltrunken am Arm ihres Arztes zur Villenbesichtigung aufkreuzt. Wenn sie mit sichtlichem Genuss Rotwein aufs Sofa kippt, weil die Zeiten vorbei sind, in denen sie die Spaßbremse und nur für saubere Bezüge zuständig war.

Ob die Drogenvertickerserie "Breaking Bad", die Schönheitschirurgensaga "Nip/Tuck" oder jetzt "The Big C" - in schöner Regelmäßigkeit gelingt es den Kreativen der US-Fernsehbranche (in diesem Fall Schöpferin und Drehbuchautorin Darlene Hunt), ein ernstes Thema unterhaltsam zu präsentieren. Mit glaubwürdigen Charakteren, mit Fallhöhe und, ganz wichtig, mit Dialogen, die sich deutsche Drehbuchautoren gerahmt an die Wand über den Schreibtisch hängen sollten.

"The Big C" ist kein weichgespültes Wohlfühlfernsehen, aber die Art Fernsehen, bei der sich der Zuschauer gut fühlt. Weil es einfach Spaß macht, Laura Linney alias Cathy zuzusehen, wie sie Schamgrenzen sprengt und die missionarische Selbsthilfegruppe abblitzen lässt. Wie man mit Krankheit umgeht, auch das erzählt die Serie, entscheidet schließlich jeder selbst.

"The Big C - 1. Staffel" 348 Minuten, ab 16 J.