Dem Pianisten Craig Taborn gelingt ein großartiges Solo-Debüt

"Beauty Is A Rare Thing": Die lapidare Wahrheit dieses Titels von Ornette Coleman kommt einem in den Sinn, wenn man die erste Soloplatte des Pianisten Craig Taborn hört. Dieses Album ist von seltener Schönheit - herb, radikal, eine Offenbarung für Menschen auf der Suche nach dem originären Klang. Aber wie kann jemand der Improvisation allein am Klavier überhaupt noch etwas Eigenes, Neues hinzufügen, nach Keith Jarrett und Cecil Taylor?

Taborn, 41, kann, weil er sich mit 100-prozentiger Originalität auf dieses kulturell vermeintlich restlos durchbuchstabierte Instrument einlässt. Er nähert sich den Tasten, den Pedalen, dem Korpus, dem Mysterium schwingender Saiten mit dem Anfängergeist des Zen. Doch Nichtwissen und Nichtkönnen sind nicht dasselbe.

"Die Musik ist improvisiert", sagt Taborn. "Ich fange einfach an. Aber danach versuche ich alles so nah wie möglich in Beziehung zur ursprünglichen Idee zu setzen - Details im Motivischen, im Rhythmus, in der Textur." Trotz oder wegen bisweilen extrem geringer Tondichte gelingen ihm pianistische Meditationen von ungewöhnlicher Tiefe. Und gerade wenn wir glauben, Taborn erhebe den Klang an sich zum Fetisch, den hallenden Raum über einzelnen, unablässig wiederholten Tönen, holt er uns mit einem störrisch federnden, komplex gebauten rhythmischen Motiv wieder auf den Boden seiner spektakulären pianistischen Handwerkskunst zurück.

Das Instrument im Konzertsaal des Schweizer Rundfunks in Lugano klingt umwerfend, aber es sind natürlich Taborns Finger, die die Musik machen. Seine harmonischen Valeurs sind aufs Subtilste unberechenbar, doch von Willkür keine Spur. In Taborns 13 Improvisationen gewinnt die immaterielle Kunst der Musik immer wieder eine erregende Körperlichkeit. Wer aus dem "Köln Concert" rausgewachsen ist, hat in diesem Album den würdigen, zeitgemäßen Nachfolger.

Craig Taborn: "Avenging Angel" (ECM)