Eine von vielen Alpensagen: Fröhlicher Bergurlaub

Ach, die schönen Alpen. Herrlich ist das spitzige Panorama des Dachsteins in der grünen Steiermark anzusehen. Vom steilen Zahn des Schweizer Matterhorns erst gar nicht zu reden. Schneebedeckte Gipfel ragen in wolkenlos azurblauen Himmel. Gamsböcke posieren schwindelfrei in Felswänden. Blutrot blüht der Almenrausch und venenblau der Enzian. Aber die Bergwirklichkeit ist lebensgefährlicher, als diese Heile-Welt-Postkarten-Ansichten ahnen lassen. Der wildromantische Kitsch soll doch nur in blauäugigen Nordlichtern Lust auf fröhlichen Bergurlaub mit gemsigem Klettern und munterem Wandern wecken. Im Schritt, vorwärts marsch, den Stock in der Hand, ein Lied auf den Lippen.

Von Bergen haben doch Hamburger und andere Bewohner des platten Landes keinen himmelblauen Schimmer. Wer die nassgrünen Bodenwellen der Harburger Berge allen Ernstes für Berge hält, den würdigt ein vom Herumkraxeln und Skifahren geplagter Alpenländler bestenfalls eines mitleidigen Lächelns. Berge sind erst Berge zu nennen, wenn sie so hoch sind, dass ihre Abhänge und Spitzen die Wolken berühren oder gar in ihrem Dunst verschwinden.

Die Segnungen der Zivilisation fallen durch ihr Fehlen auf

Aber was, bitte, soll denn daran so gesund, erholsam und großartig sein, nach Luft schnappend, frierend - oder noch schlimmer - schwitzend diese unwirtlichen Höhen zu erklimmen? Ist doch nur eine weitere der vielen grausamen Volkssagen, an denen die Bergbewohner ihr sadistisches Vergnügen haben: Mit den Fabeleien von Almgeistern, Kasermandln ohne Kopf, Wichteln, die über Goldschätze in Höhlen wachen, und der in Raunächten über Berg und Tal rasenden wilden Jagd.

Zurück zur Sage vom lustigen Naturleben auf dem Berg, mitten in der meist gar nicht sonnigen Gegend und ohne all die Segnungen der Zivilisation, die so selbstverständlich sind, dass sie nur durch ihr Fehlen auffallen: Licht, Strom, Wasser und Zentralheizung. Wer will denn schon wie eine butternde Sennerin leben oder das Hundeleben eines Rinderherdenhüters führen? Die Freuden des "einfachen" Almhüttendaseins sind doch nur ein Schmäh. Schon der Aufstieg über Stock und Stein ist eine Zumutung, stolpernd, schnaufend und mit schlackernden Knien. Noch dazu gefoltert von Durst, Wadelnkrämpfen und blutsaugenden Rinderbremsen. Überhaupt das liebe, mit Glocken läutende Milchvieh. Ochsen spielen schon mal den gereizten Stier, gerät ein kühner Wanderer auf der Weide in ihr Revier. Tritt er auf der Flucht dann noch in dampfend frische Kuhfladen, spürt der begeisterte Naturfreund endlich die gesunde Luft und den guten Duft der weiten Bergwelt.

Ohnehin wird sie skrupellos dem Götzen Winter- und Sommer-Sport geopfert, zerstört und verbaut als Falle für gutgläubige und draufzahlende Touristen. Was erwartet sie wirklich? Beim Skifahren Massenandrang, unsichere Sessellifte, Beinbrüche und Stürze. Beim Wellness-Wandern unter freiem Himmel launisches Wetter, ein Sonnenbrand oder klatschnasse Klamotten und verstauchte Haxen. Auch das berühmt berüchtigte Jodeln in der Lederhose erweist sich als Filmmärchen aus den 70ern. Oft steckt doch nur ein Tannenzapfen drin.

Ein guter Rat an alle Nordlichter: Seid glücklich und zufrieden mit euren erotisch sanften Bodenerhebungen. Seht euch die Alpen lieber im Kino oder im Theater an. Da rücken die Berge auf Bühne oder Leinwand ganz nah - und bleiben doch weit weg in sicherer Entfernung. Als hübsch gemalte Kulisse oder leuchtende Projektion verfehlen Gipfelpanoramen selten ihre Wirkung. Außerdem ist diese theatralische Bergschönheit echt falsch und gaukelt nicht die raue Wirklichkeit kitschig als harmlose Illusion vor.