Experten sind sicher, dass der “Weltenretter“ von Leonardo da Vinci stammt. Die Sensation wird im Herbst in London ausgestellt.

Hamburg. Es ist fast wie mit der berühmt-berüchtigten Stradivari, die in Opas Nachlass auf dem Dachboden gefunden wird, oder mit dem ganz bestimmt echten Rembrandt unter dem Sofa von Erbtante Else. Man hofft, man träumt von Ruhm, Schlagzeilen, Staunen, oft wohl auch von sehr viel Geld. Und manchmal werden diese Träume tatsächlich wahr.

Ein Privatsammler in den USA, so eine Version der aktuellen Legende, hatte diesen Traum; er hatte sich 2005 ein Porträt (Öl auf Holz, 66 x 47cm, wohl um 1500 entstanden) gekauft, auf dem ein Jesus in klassischer Weltenretter-Pose zu sehen ist. Eine Hand segnet, die andere hält eine Kristallkugel. Der Blick ist klar, die Haltung frontal.

Auch die Londoner National Gallery kam bei diesem Anblick ins Träumen. Dort hofft man, der gesamten Kunstwelt im Herbst eine jener Sensationen bieten zu können, nach denen die Branche hungert. Ein wirklich echter, ein gänzlich neuer Leonardo da Vinci? "Salvator Mundi", zweifelsfrei als Original abgesegnet? Das sechzehnte noch vorhandene Ölgemälde des Meisters, die erste Werkkatalogerweiterung nach mehr als 100 Jahren? Mehr ginge kaum, wenn alle Expertisen tatsächlich wasserdicht sein sollten. Einen Publikumsmagneten hätte man dann, einen Expertenmagneten sowieso.

Am 9. November wird die Ausstellung "Leonardo da Vinci: Painter at the Court of Milan" eröffnet. Dort wird monatelang mehr als die Hälfte des bisherigen legitimen Bestands an eigenhändigen Gemälden zu bestaunen sein. Ein würdiges Umfeld, aber auch eine harte Bewährungsprobe für den Familienzuwachs im Rampenlicht der Kunstwelt.

Unbekannt war den Jüngern Leonardos nicht, dass es so etwas wie dieses Bild des Heilands von ihm gegeben haben könnte. Unbekannt war nur, wo es war, falls es wirklich existierte. Es gab lediglich Vorzeichnungen und Annäherungen, wie die 1659 entstandene Radierung des Böhmen Wenceslaus Hollar, der davon überzeugt gewesen sein soll, es hier mit einem echten da Vinci zu tun gehabt zu haben.

Es gab Kopien und Variationen des Motivs, heißt es weiter, wahrscheinlich Schülerarbeiten, inspiriert durch des Meisters Entwürfe.

Erstmals aktenkundig wurde das nun so dramatisch aufgewertete Gemälde in England, in der Sammlung von Charles I. (1600-1649). Dann verlor sich seine Spur, es war bis ins 19. Jahrhundert buchstäblich von der Bildfläche verschwunden.

Bei einer Auktion 1840 in London wurde es als anonyme Massenware aus der "Mailänder Schule" gehandelt. Sotheby's bot es 1958 als Kopie nach einem Gemälde des Leonardo-Schülers Giovanni Antonio Boltraffo an. Kein Wunder, dass es damals für lediglich 45 Pfund den Besitzer wechselte.

Seine derzeitigen Eigentümer, darunter auch der Kunsthändler Robert Simon, trauten den Fachleuten im New Yorker Metropolitan Museum of Art nicht genug. Simon holte weitere Meinungen bei Experten in Boston, London und Oxford ein. Er hatte das Gemälde restaurieren lassen, dabei wurden ältere Übermalungen beseitigt und schwere Beschädigungen ausgemerzt. Was dabei wieder zum Vorschein kam, war so überzeugend, dass aus der bisherigen Dutzendware des Leonardo-Umfelds nun ein vermeintliches Unikat werden konnte.

Viele Zweifel scheinen beseitigt, andere dagegen sind nach wie vor nicht ausgeräumt. Skeptiker könnten einwenden, dass aus der an sich gut dokumentierten Zeit um 1500 und danach keine Informationen überliefert sind, dass der Maler sich mit diesem Sujet beschäftigt hätte. Bei anderen Gemälden, der "Mona Lisa", der "Heiligen Anna Selbdritt" und der "Madonna mit der Spindel" sind Leonardos Arbeiten nicht so undokumentiert geblieben. Ein Indiz für die Echtheit könnte hingegen sein, dass die Blasen in der Kristallkugel auch in Hollars Arbeit sichtbar sind. Doch gerade diese Zweifel, der Reiz des Fragwürdigen, verleihen manchen Bildern ja erst die werbeträchtige Patina des Sensationellen.

Wie die "Welt" berichtete, wurde den Eigentümern von Leonardo Nr. 16 angeblich schon 200 Millionen Dollar angeboten. Sie hätten das Gebot als ungenügend abgelehnt. Der Traum vom Jahrhundertfund ist noch längst nicht vorbei. Er hat gerade erst begonnen.