Der Evolutionsbiologe Josef Reichholf hat die Frage ergründet, warum wir gefallen wollen. Und ist zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen

Warum sind Menschen schön? Woher stammt ihre ästhetische Pracht? Was ist der Grund der Abweichung vom Standard? Für Darwin, den Evolutionsbiologen, der die bahnbrechende Theorie der "natürlichen Auslese" formulierte, war das Vorkommen der Schönheit ein Rätsel, das er nicht lösen konnte. Die Anpassung der Lebewesen an ihre Umwelt ist lebensnotwendig und verantwortlich für die Entstehung der verschiedenen Arten. "Survival of the fittest", wir erinnern uns.

Wie passt da die Schönheit rein? Schönheit erschien Darwin als Kategorie der völlig unverständlichen Zierde, als Luxus in der Wildnis. Die natürliche Auslese, das ging Darwin auf, konnte nicht das alleinige Ordnungsprinzip der Natur sein. Es gab die schönen Auswüchse in der Tierwelt, und sie mussten einem Prinzip folgen. Darwin nannte es das der "sexuellen Auslese". Das Weibchen wählt das besonders prächtige Männchen aus. Wer mag es ihm verübeln!

Damenwahl und eitle Männer: So sieht's aus in der Natur. Die Pfauen tragen ihr farbenfrohes Kleid durch die Gegend, der Argusfasan zeigt sein faszinierendes Gefieder, und die Weiber halten Maulaffen feil und picken sich den Schönsten raus. Was soll Schönheit denn bringen, fragte Darwin: Wer einen übertriebenen Phänotyp hat, fällt unnötig auf und gefährdet sein Überleben.

Und darum, ums Überleben, geht es ja immer, auch bei uns Menschen. Und um den Erhalt der Art, Biologie ist so schrecklich profan, banal und nüchtern.

Und trotzdem faszinierend auch für Fachfremde. Josef H. Reichholf, Münchner Zoologe und Evolutionsbiologe, untersucht in seinem neuen Sachbuch nichts weniger als den "Ursprung der Schönheit". Damit sind noch Meriten zu holen: Erschöpfend erklärt worden ist das Vorkommen des Schönen in der Natur (es hat seine Entsprechungen in den Kulturleistungen der Menschheit: der Mode, den Kunstwerken) nämlich nicht. Reichholf zufolge muss das Unbehagen der Biologen an Darwins Vermutungen die Schönheit betreffend nie aufgehört haben. Umso faszinierender und in seiner Argumentation sympathischer ist nun Reichholfs üppige Abhandlung, die mit den Tieren beginnt und den Menschen endet.

Rein ökonomisch betrachtet, übertreibt die Natur nämlich maßlos, indem sie zum Beispiel unter den Vögeln für eine sagenhaft bunte Farbenpracht auf dem Gefieder sorgt. Beim Menschen verhält es sich natürlich ähnlich: Wozu soll all die Schönheit der Frauen (in der Tierwelt ist seltsamerweise das Männchen das starke Geschlecht) gut sein, die uns tagtäglich begegnet? Hochhackige Schuhe mit wenig Stoff geben im Zweifel zwar den Blick auf hübsche Fesseln frei, helfen aber nicht beim Überleben. Schon eher bei der Erhaltung der Art: der sexuellen Reize wegen.

Was Reichholfs Studie für uns Menschen so reizvoll macht, ist eine beinah banal anmutende Erklärung für das Phänomen Schönheit: Ihr Ursprung wird gleichsam philosophisch gedeutet. Schönheit ist Freiheit; was über die bloße Anpassung an die Gegebenheiten und Anforderungen, die Zumutungen und Voraussetzungen der Natur hinausgeht, ist ein Spiel mit der Unabhängigkeit. Auf gewisse Weise ist die Evolution mit der Kultivierung der Natur durch den Menschen vergleichbar.

Reichholf beschreibt es so: "Sich anzupassen mag unter diesen oder jenen Bedingungen durchaus notwendig sein. Wichtiger ist aber die mehr oder minder starke Lösung von der Umwelt. Je besser sie gelingt, desto mehr können die Organismen (sich) leisten. Die Evolution eröffnet immer wieder neue Freiheitsgrade. Sie schreitet nicht fort zu stärkerer, besserer Anpassung, sondern die Organismen lösen sich von den Zwängen, wo immer das geht."

Der Mensch ist schön, weil er es sich leisten will. Schönheit bedeutet: Individualität (wobei sich Schönheitsideale immer an der Mitte orientieren, zu weit treibt es die Natur nicht). Das klingt irgendwie erhabener als die Rede von der sexuellen Auslese. Schönheit als Lockmittel zum Geschlechtsverkehr - wie unoriginell. Und dennoch biologisch plausibel. Das "schöne Geschlecht" wurde deswegen schön, weil die sekundären Signale der Frauen sich dementsprechend entwickelten. Übrigens: "Die Fülle der Brüste hat weit mehr mit der Füllung mit Fett als mit der zu erwartenden Milchleistung zu tun." So spricht der Evolutionsbiologe.

Selektionsdruck hin oder her: Die schönsten Weibchen haben eben nicht die meisten Nachkommen. Auch das spricht für Reichholfs wunderbare Idee der Freiheit zur Schönheit. Und gegen auf Darwin aufbauende Theorien wie das Handikap-Prinzip: Das stammt von den Forschern Amotz und Avishag Zahavi und sieht die in der Tierwelt vorkommende Schönheit als Handikap. Der prächtige lange Schwanz behindert den Pfau bei der Fortbewegung, und das wiederum lässt ihn als besonders lebenstüchtig für die möglichen Sexpartnerinnen erscheinen: Er überlebt trotz Handikaps. Selbst wenn dies empirisch belegt sein sollte: Es fehlt dieser Erklärung jeglicher Charme. Wer will schon Schönheit als Schwäche sehen.

Josef H. Reichholf: "Der Ursprung der Schönheit: Darwins größtes Dilemma", 302 S., 19,95 Euro