Der iranische Film “Nader und Simin“, Berlinale-Sieger 2011, ist schon vor dem Bundesstart in Hamburg zu sehen

Abaton. Es geschieht nicht so oft, dass der Film, den eine Festival-Jury zum Sieger kürt, auch der Publikumsliebling ist. Bei der diesjährigen Berlinale war es aber so. Auf das Familiendrama "Nader und Simin - Eine Trennung" konnten sich alle einigen. Der Film räumte ganz groß ab, gewann den Goldenen Bären, den Kirchenpreis, den Leserpreis der "Berliner Morgenpost" - und das Schauspielerensemble noch zwei Silberne Bären.

Es muss also wohl etwas dran sein, an diesem Film, der eine so schöne wie skurrile Entstehungsgeschichte hat. Als der iranische Regisseur Asghar Farhadi vor einiger Zeit in Berlin war, um ein Drehbuch für einen Film zu schreiben, hörte er aus der Nachbarwohnung ein iranisches Lied. Und weil der Film in Berlin spielen sollte, war er dafür vielleicht empfänglicher als sonst. Die Melodie schlug ihn sofort in ihren Bann. Farhadi sah vor seinem inneren Auge Bilder, die ihn nicht wieder losließen. Kurzerhand verdichtete er sie zu einem Film. "Das ist mir vorher so noch nie passiert", sagt der iranische Regisseur heute.

Auch wenn die Idee aus Berlin stammt: Teheran ist der Schauplatz der Geschichte von zwei Ehepaaren. Simin möchte mit ihrer Tochter dem Land den Rücken kehren. Ihr Ehemann Nader will aber seinen kranken Vater nicht allein zurücklassen und stellt sich quer. Das Paar trennt sich, die Teenager-Tochter Termeh bleibt beim Vater. Der engagiert eine junge Frau, damit sie ihm bei der Pflege des Vaters hilft. Aber die ist damit überfordert. Es kommt zum Streit, Nader schubst sie weg, sie stürzt und erleidet kurz danach eine Fehlgeburt. Nader kommt vor Gericht.

Sehr subtil entwickelt der Regisseur vor diesem Hintergrund das Porträt zweier Familien, ihrer emotionalen und wirtschaftlichen Probleme, ihres Kampfes um Wahrheit und Gerechtigkeit, um die Einstellung zur Religion und zu ihren Kindern. Nader und Simin gehören der oberen Mittelklasse an, die Pflegerin und ihr Mann sind einfache Leute. So entsteht nebenbei ein Gesellschaftsporträt. Farhadi füttert die Zuschauer raffiniert und häppchenweise mit Informationen. Trotz vieler Wendungen schafft er es, Neugier und Sympathie mit den Charakteren aufrecht zu halten. "Die Zuschauer sollen bei meinem Film nicht als bloße Beobachter außerhalb des Spielfelds stehen. Sie sollen sich als Mitspieler auf das Geschehen einlassen, es mitverfolgen und gestalten. Es ist, als ob der Film ein Kriminalfall wäre und der Zuschauer der Kommissar, der das Rätsel aufdeckt."

Vor den Dreharbeiten hat Farhadi lange mit seinen Schauspielern geprobt. Er hat sie keine Szenen seines Drehbuchs nachspielen, sondern sie nach Wegen suchen lassen, um ihre Charaktere besser zu verstehen.

Das Ergebnis überzeugt. Besonders blieb dabei das Verhältnis zur Darstellerin der Termeh, gespielt von seiner Tochter Sarina Farhadi. "Es war eine schwierige, aber wertvolle Erfahrung. Dazu musste ich von meiner Vaterrolle abweichen. Meine Tochter war 'nur' noch eine Schauspielerin. So konnten wir uns beide in unbekannten Rollen von außen betrachten." Sie hat ihn am Set nur mit "Herr Farhadi" angeredet. Erst nach Drehschluss wurde es wieder familiär. "Wenn wir abends zusammen nach Hause fuhren, war sie oft verärgert, weil ich so streng war."

Aber sie spielt in der Rolle der Termeh sehr überzeugend. Sie wie auch die kleine Tochter der "Pflegerin" ertappen im Film ihre Eltern dabei, dass sie es mit der Wahrheit manchmal nicht so genau nehmen. Die Erwachsenen benehmen sich aber nicht aus Nachlässigkeit so, sondern um Schwierigkeiten zu vermeiden. Dabei geraten sie aber nur noch weiter in die Bredouille. "Die Eltern versuchen, alles für die Zukunft der Kinder aufzubringen. Gleichzeitig zerstören sie diese, indem sie die moralischen Maßstäbe beschädigen, die man für eine gute Zukunft braucht."

Wer als iranischer Filmemacher im Ausland antritt, wird fast automatisch auch am Grad der Gesellschaftskritik gemessen, die er übt. Das iranische Kino besitzt zwar Weltgeltung, und Farhadis Kollege Abbas Kiarostami ist schon jetzt ein Klassiker. Dennoch haben es Filmemacher im Iran schwer. Regisseure wie Jafar Panahi oder Mohammad Rasoulof sind in ihrer Heimat mit einem Berufsverbot belegt. Einige Regisseure wie Ali Samadi Ahadi, Shirin Neshat oder Marjane Satrapi arbeiten deshalb im Exil. Farhadi übt seine Kritik nur sehr indirekt. Am Anfang sagt Simin, sie möchte nicht, dass ihre Tochter unter solchen Verhältnissen aufwachse. Den Satz hat er irgendwie an der Zensur vorbeigeschmuggelt. Die Justiz kommt in seinem Film gut weg, auch wenn die Kinder letztlich die wahre Instanz der Gerechtigkeit bei ihm sind.

Zurzeit ist Farhadi als Stipendiat zurück in Berlin. Die Stadt ist für ihn ein gutes Pflaster. Hier hat er vor zwei Jahren schon den Silbernen Bären für seinen Film "Alles über Elly" gewonnen. Jetzt will er ein neues Drehbuch schreiben. Vielleicht sollte er sich diesmal die Ohren zuhalten, damit er nicht wieder irgendwelche Lieder hört. Aber andererseits sollte er sich vielleicht doch wieder ablenken lassen, wenn daraus solche wunderbaren Filme entstehen.

Nader und Simin - eine Trennung (OmU) heute 15.00, 17.30, 20.00, Abaton (Metrobus 4 + 5), Allende-Platz 3, Eintritt: 7,50/6,50