David Truebas toller Familienroman “Die Kunst des Verlierens“

Tochter, Vater, Großvater - viel mehr als diesen kleinen familiären Kosmos braucht der spanische Schriftsteller David Trueba nicht für seinen wunderbaren Familienroman, der zugleich auch ein Porträt des heutigen Madrid ist. Dabei sind es keineswegs besonders schillernde Figuren, denen Trueba in seinem Roman "Die Kunst des Verlierens" nachspürt und in all ihren Facetten, ihren Schwächen und Stärken zeigt. Was ihnen widerfährt, was sie bewegt und manchmal erzittern lässt, sind bloß Zufälle des Alltags, kleine Abweichungen vom erwartbaren Weg. Und doch führen sie in Chaos und Verzweiflung, in Schuld und Not. Und nicht immer aus der Katastrophe auch wieder heraus.

Die 16 Jahre alte Sylvia wünscht sich nichts sehnlicher, als zehn Jahre älter zu sein, die Schule mit allem, was dazugehört, hinter sich zu lassen und ein ganz anderes Leben zu beginnen. Und genau an ihrem Geburtstag führt eine Unachtsamkeit im Straßenverkehr zu einem Unfall mit einem Porsche, an dessen Steuer der berühmte argentinische Fußballspieler Ariel sitzt.

Ungefähr zur selben Zeit lässt Leandro, Sylvias Großvater, seine Frau im Krankenhaus zurück, wo sie sich nach einem häuslichen Sturz befindet, und betritt furchtsam und unsicher und dennoch wie getrieben ein Etablissement, das Erotik gegen Vorauskasse bietet. Leandro entscheidet sich für eine "junge Schwarze mit spektakulärem Körperbau", sie ist zweiundzwanzig und kommt aus Nigeria. Sie wird sich als Verhängnis erweisen.

Lorenzo, Sylvias Vater, sucht an jenem Sonntag Ablenkung bei einem Fußballspiel, doch es gelingt ihm nicht, die Bilder des Grauens zu vertreiben, die er wenige Tage zuvor selbst erzeugt hatte. Zu viel, findet Lorenzo, hat ihm das Leben zugemutet. Seine Frau Pilar hat ihn wegen eines anderen verlassen; seinen Job in einem großen Konzern hatte er da bereits verloren. Und zuletzt musste er noch feststellen, dass der von ihm wegen seines Erfolgs bewunderte Geschäftspartner Paco ihn gnadenlos über den Tisch gezogen hat. Als er sich sein verlorenes Geld wieder zurückholen will, wird er von Paco überrascht - und Lorenzo tötet ihn im Affekt.

Was der 1969 geborene Autor hier auf über 500 niemals langweiligen Seiten vor uns ausbreitet, ist viel mehr als das Psychogramm einer Familie und den mit ihr verbundenen Personen.

"Die Kunst des Verlierens" erzählt voller Anteilnahme von den Zumutungen des Lebens, vom Kampf gegen die Mühsal des Alltags, von Geschehnissen, die in das gewohnte Leben einbrechen und von denen die Protagonisten gebeutelt werden. Und wie nebenbei erzählt der Roman auch vom gewöhnlichen Alltag in Madrid, wozu die Schwierigkeiten der süd- und mittelamerikanischen Einwanderer ebenso gehören wie Wetter und Essen, das Bombenattentat auf die U-Bahn und die Machenschaften von Wohnungsbaugesellschaften. Ein bewegender Roman.

David Trueba: "Die Kunst des Verlierens". Übers. v. Peter Schwaar. Kiwi. 521 S., 22,95 Euro