In Hamburg leben, für den “Polizeiruf 110“ in Rostock drehen, Theater spielen bei Karin Beier in Köln: Multitalent Charly Hübner hat viele Facetten.

Köln. Seine Aufgabenliste fürs Leben ist im Aktenordner "Privates" abgeheftet. Vor acht Jahren, nachdem er krank wurde, weil er nicht mehr wusste, wohin mit sich, schrieb Charly Hübner auf, was er wirklich tun wollte. Das hatte ihm eine Krankenschwester empfohlen. Das half beim Einnorden. Seitdem ist er auf Kurs.

TV-Krimi-Abonnenten kennen ihn aus dem Rostocker "Polizeiruf 110" als bissiges Ermittler-Seelchen Alexander Bukow. Ein 1,92-Meter-Schrank mit dubioser Vorgeschichte neben Anneke Kim Sarnau, die den blonden West-Besen vom LKA gibt. Vier Episoden waren es, fast Schlag auf Schlag zur Markeneinführung des sehr gemischten Doppels. Die fünfte Folge kommt, dem ARD-Proporz-Rhythmus gehorchend, erst Anfang 2012. Filmfreunde hatten ihn als Nachtwache im Oscar-prämierten Stasi-Drama "Das Leben der Anderen" bestaunt, einer kleinen, großen Rolle. Comedy-Fans werfen sich weg, wenn Hübner in "Ladykracher" Pointen herausfeilt. Wer neben Anke Engelke als Wurst verkleidet ein Damenbinden-Maskottchen hinbekommt, den kann nichts mehr schrecken.

Doch tief drin ist Hübner vor allem Theaterschauspieler, seit ein Kumpel vor gut 20 Jahren bei einer Türkei-Reise im Amphitheater von Ephesus plötzlich Hamlets "Sein oder Nichtsein"-Sätze rezitierte. Hübner stand oben in den Rängen und staunte, was da in ihm passierte. Schauspieler? Coole Idee. Es hatte laut "Klong" gemacht in seiner Seele. Wie in dem Moment, als er, seinen privaten Ankerplatz suchend, auf dem Heiligengeistfeld stand, und danach am Museumshafen. Das fetzte. In dieser Stadt wollte er sein und bleiben.

Der Freund von damals ist jetzt am Potsdamer Kindertheater engagiert, Hübner probt derzeit in Köln, mit Karin Beier, der zukünftigen Hamburger Schauspielhaus-Intendantin. Verraten will keiner von beiden, wohin die Reise bis zur Premiere geht. Eine Text-Collage soll "Demokratie in Abendstunden" werden. Der Ausgang der Proben-Schwangerschaft ist noch sehr offen.

Hübner mag so etwas, sehr sogar. Er mag das Haus, als Stadttheater auf der Suche nach relevanten Antworten. Hier war er der Lopachin in Tschechows "Kirschgarten", den Karin Henkel inszeniert hatte, es gibt weitere Ideen. Er liebt es ungebunden, mit Ordnung nach eigenen Regeln. Wohnt in Ottensen, aber auch bei der Freundin in Bochum oder beim Bruder in Berlin. Fährt einmal pro Jahreszeit in die Feldberger Seenlandschaft, wo er aufwuchs und als Ost-Teenager zu Vorwendezeiten ehrfurchtsvoll die Interviews im Hardrock-Fachblatt "Metal Hammer" abschrieb, das auf gut getarnten Wegen aus dem Westen zu ihm kam. Vorbei am Vater, einem Kulturfunktionär mit Doppelleben. Solche Kameras hätten sie bei der Stasi nicht gehabt, beichtete er seinem Sohn, nachdem sie "Das Leben der Anderen" gesehen hatten.

"Charly ist wahnsinnig geerdet, das merkt man sofort", sagt Beier bei einem sehr frühen Kaffee vor Probenbeginn in ihrem Intendanz-Büro. "Man merkt, dass er keinen verquasten Kopf zwischen sich und dem hat, was er tut, sondern sehr direkt ist", sagt sie über ihn. "Er hat einen guten Humor, Direktheit und Sexappeal. So soll's sein." Hübner sagt über Beier: "Ich mag die Art, wie sie arbeitet. Dass sie erst mal guckt. Das kenne ich auch von Jürgen Gosch." Beier wiederum sagt über Hübner: "Der kommt jetzt ins interessante Alter. Es wird sehr viel davon abhängen, mit welchen Leuten er zusammenkommt und welche Rollen er spielt, von der Chance, mit den Figuren zu wachsen und nicht kleben zu bleiben."

Ohne die Hamlet-Szene wäre der 38-Jährige jetzt womöglich Schäfer, wie sein Freund Heino, dessen Söhne und Schafe er hin und wieder besucht. So schön ruhig, so eigen, so Mecklenburg-Vorpommern. Oder Tischler. Etwas bauen, das nicht gleich wieder umfällt. Vielleicht ist es eine besondere Ironie seiner Geschichte, dass aus dem sportbegeisterten Schüler, der "jwd" am See groß wurde, kein Leistungssportler wurde. Sein Herz war zu schnell gewachsen. Dramatischer kann eine Schauspielerkarriere kaum beginnen.

Die Frage, wie viel Bukow seit dessen Sonntagabend-TV-Premiere in Hübner steckt und umgekehrt, die ist nicht ohne. Im Winter, erzählt Hübner, war er zufällig Zeuge, als auf der Straße ein Passant starb. Seine Freundin habe ihm später gesagt, in dem Moment, da sei er Bukow gewesen, während er doch nur versucht hatte, ruhig zu bleiben.

"Der hat, so wie jede Figur, einen Raum in mir genommen", sagt Hübner von seiner Rolle, von einem Charakter, der ihm "viel Futter bietet". Jemand, an den er sich gewöhnen kann. "Nach diesem Jahr mit Bukow hätte ich Bock auf mehr", er hat Sehnsucht aufs Altwerden mit dem Kerl. "Er hat ein so großes Herz. Das versteckt er nur so, weil er vor so vielem Angst hat, am meisten vor sich selber. Für jemanden wie mich, der eher vom Harmoniebedürfnis aus lebt, ist es total schön, das Gegenmodell zu erleben." Frisch von seiner Bühnenprobe kommend, schwärmt er: "Jemanden wie Bukow im Theater zu finden, ist schwer. Als Shakespeare lebte, wurden solche Rollen noch nicht geschrieben."

Muss man einen Ost-Stammbaum haben, um Bukow spielen zu können? "Prinzipiell nicht. In Details aber schon." Die Details machen den Unterschied. Da ist Hübner eigen. Vor jedem "Polizeiruf"-Dreh müssen es zwei Rituale sein: Boxtraining, das ist gut für die Körperspannung, und der Anfang des TV-Epos "The Wire", wo er einem Drogenfahnder in Baltimore zusieht, wie der sich ganz bewusst unsichtbar macht. "Dass der sich selber so wegspielen will, das finde ich großartig."

Nur keine Geste zu viel. Kein verfälschendes Wort zu viel. Das sehen auch die Rostocker Polizisten so, die als Qualitätskontrolle Teil des Dreh-Teams geworden sind: "Super, ihr seid am Ball." Genauso läuft 's bei denen auf dem Revier, "das sind unsere Dialoge". Solche Komplimente sind Hübner viel wichtiger als Quoten. Auch wenn beide stimmen. Die Schwangerschaft seiner Krimi-Kollegin (von der man im nächsten Film nichts zu sehen bekommen soll) hat die Planung mächtig durcheinandergewürfelt. Das Buch für den fünften "Polizeiruf" wurde fast von jetzt auf gleich neu geschrieben, das vorherige zu Folge sechs umetikettiert. Die Hektik, die daraus resultierte, hat Hübner genossen. Ist besser als Routine.

Deswegen kann er sich im Moment auch nicht vorstellen, sich fest und eng an ein Haus zu binden. Warum auch. Selbst Hollywood hat bereits angerufen, zweimal sogar. Beim ersten Mal hatte Hübner aber schon für die Hauptrolle im ZDF-Sozialdrama "Über den Tod hinaus" zugesagt. Die Termine kamen nicht auf einen Nenner, und obwohl der Film, dessen Name Betriebsgeheimnis bleiben soll, prächtig in den Kinos lief, bereut Hübner seine Absage nicht. Ist halt so. Die nächste Anfrage hatte mit Wikingern zu tun. Auch eine schöne Idee. Wer zweimal durchklingelt, versucht es vielleicht noch öfter.

Der zweite oder dritte Espresso ist weg, die große Schorle leer. Was, Herr Hübner, macht Schauspielern mit einem, mit einem wie Ihnen? "Schwere Frage, weil ich den Vergleich ja nicht mehr habe." Wollen Sie es überhaupt noch wissen? "Eigentlich nicht", brummt es zufrieden über den Theaterkantinentisch zurück. "Dieses Switchen ist für mich als Privatperson ganz schön wichtig." Vom Lebenszettel im Aktenordner "Privates" ist inzwischen "ach, einiges" abgearbeitet. Sie sind also glücklich? "Eher ja."