Im Pott gehört “Muckibude“ zum aktiven Wortschatz

Ich möchte mich gerne als Kandidatin bei "Wetten dass ..?" bewerben. Ich wette, dass ich deutsche Bahnhöfe daran erkennen kann, welche Leute jeweils zusteigen. In Münster dominiert die Funktionsjacke. In Düsseldorf der gemeine Geldsack. Am einfachsten jedoch ist Duisburg. An der Stadt im Ruhrpott sind sämtliche Retrotrends vorbeigegangen. Warum? Weil die Jahrzehnte dort modisch nie vorüber waren, vor allem nicht die 80er und 90er. In Duisburg wurden sie nicht nur am Leben erhalten, sondern gezüchtet.

So wie Exil-Briten gerne royaler sind als die Queen, was ihren Fünf-Uhr-Tees angeht, so pflegt der Duisburger seinen Look noch liebevoller als seinen Schrebergarten in Walsum. Die Frisuren sind durchgestufter, das Neon strahlt greller, die Stonewashed-Jeans scheint noch ausgewaschener, die Bärte wachsen noch buschiger, die Unterhemden spannen noch straffer, die Haartollen glänzen noch pomadiger, die Tattoos sitzen noch tiefer. Ich mag das.

Sollen doch frisch geschlüpfte Szene-Kinder in Berlin-Mitte krampfhaft versuchen, ihr Äußeres auf coole Malocher-Couture zu pimpen. Der Duisburger hat den Stil im Blut. Und dennoch geben sich die Bewohner im westlichen Ruhrgebiet nicht eitel und arrogant, sondern holen trotz hohen Eigengeschmacks die Expertise anderer ein.

Wenn der Duisburger ausprobiert, dann bis zum Atemstillstand

Vergangenes Jahr stieg ich am Duisburger Bahnhof um, um die Familie zu besuchen. Noch tiefer im Westen. Ich hatte ein wenig Zeit und bummelte in den stationseigenen Drogeriemarkt. Vor der Parfumauswahl stellte sich eine Frau neben mich. Drahtig, gebräunt, durchgestuft. Beherzt griff sie zu einem rosa Flakon, dem Duft von Kate Moss, und sprühte sich von oben bis unten ein. Auf der Flasche stand "Tester". Und wenn der Duisburger etwas ausprobiert, dann bis zum Atemstillstand.

Danach war ich dann dran. "Riecht dat gut?", wandte sich die Frau an mich. Ich hatte mich gerade noch gefragt, ob ich jemals wieder etwas anderes riechen würde als Kate Moss, sagte aber dann doch irgendetwas Diplomatisches wie "Joaah". Der durchschnittliche Hanseat hätte sich mit diesem Overstatement mehr als zufrieden gegeben. Für den Duisburger war da noch nicht einmal die Warmlaufphase beendet. "Die in der Muckibude finden, dat dat total gut riecht", sagte die Testerin und sprühte sich, um ihre These zu untermauern, erneut ein. Von oben bis unten.

Ich sank ohnmächtig auf den Drogeriemarktboden und fantasierte von einem Leben, in dem Muckibude zu meinem aktiven Wortschatz gehört. Ich würde mir jede Menge Killefitt vom Meidericher Sportverein zulegen, Kutte, Schal und anderes Gedöns. Wiedergeboren als weiß-blaues Zebra würde ich fortan als Maskottchen durch die Schauinsland-Reisen-Arena traben und den Chor der Fans dirigieren: "Früher gab's hier nur Kohle, / früher war hier nur Stahl, / für die Zukunft kämpfen, / das ist für uns normal." Eine Göre zog mich an den Haaren, riss mich unsanft aus meinen Träumen und ich dachte mir nur: "Darf dat dat, dat dat darf?"

Noch leicht benommen reiste ich weiter in meine alte Heimatstadt. Doch die lag völlig verwaist da. Lediglich mein Bruder saß im Garten mit seiner Frau und seinem Sohn und grinste glücklich. "Die sind alle auf der A 40. Endlich mal Ruhe!" Ich erinnerte mich: Der Pott war ja Kulturhauptstadt. Und die Menschen im Revier lieben die Orte, wo sie am meisten Zeit verbringen: Inne Kneipe, inne (Pommes- und Mucki-)Bude und vor allem auffe Autobahn. Also feierten die Bewohner einen Tag lang den Asphalt, auf dem sie sonst im Stau stehen.

Im Garten tranken wir Pilsken und schauten zufrieden in der brachliegenden Nachbarschaft umher. Eine Brieftaube flog vorbei. Sie hatte alle Trends überdauert. Ganz schön, so retro.

Ausstellung "Tief im Westen"

Film "Rockabilly Ruhrpott"