Der amerikanische Musikkünstler Bon Iver hat eine tiefe Platte aufgenommen, die sich schnellen Interpretationen immer wieder geschickt entzieht

Wer geglaubt hat, dass Justin Vernon alias Bon Iver auf seinem zweiten Album mit dem Eremiten-Folk des Debüts "For Emma, Forever Ago" weitermachen würde, sieht sich getäuscht. Damals hatte sich der Sänger und Gitarrist in eine Hütte in den Wäldern von Wisconsin zurückgezogen und einen Winter lang alleine an seinen Songs gearbeitet. Seitdem sind drei Jahre vergangen, der Solist hat inzwischen eine Band um sich geschart, mit der er etliche Tourneen gespielt hat und die ihn bei seinem zweiten Werk mit dem schlichten Titel "Bon Iver" unterstützt.

Es ist ein komplexes Album geworden. Es erfordert Konzentration, all die verschiedenen Instrumente wahrzunehmen, die Vernon hier übereinandergeschichtet hat. Aufgenommen hat er es wieder in Wisconsin, nicht weit von seinem Elternhaus entfernt. Die vertraute Gegend in seiner Heimatstadt Eau Claire sei wichtig für den kreativen Prozess, sagt er, viele der neuen Songs drehen sich um die Heimat des Künstlers. Andere tragen fernere Orte im Titel - vom australischen Perth über Hinnom/Texas bis zum kanadischen Calgary. Was Vernon mit diesen Orten verbindet, sagt er nicht, es bleibt in einem poetischen Dunkel. Es scheint, als habe er sich eine lyrische Welt geschaffen, zu der nur er allein den Schlüssel besitzt.

Musikalisch ist "Bon Iver" ein reiches und überraschendes Werk. Es gibt Momente von zarter Schönheit, wenn ein paar Töne auf der Gitarre im Raum verklingen, aber genauso minutenlangen Lärm wie in "Perth". Vernon benutzt Flöte, Saxofon, Vibrafon, Gitarre, Geige, Keyboards und Schlagzeug für diese ausgeklügelten Klanglandschaften. Darüber legt er seine unverwechselbare Falsett-Stimme, die in ihrer Intensität oft etwas Sakrales hat.

"Bon Iver" ist ein Album für Menschen mit offenen Ohren, die sich auf Experimente einlassen können. Es integriert viel Musik, die für Justin Vernon in der Vergangenheit wichtig gewesen ist: Gospel, die Songs von Bob Dylan, den Hardcore-Sound von Fugazi oder die elektronischen Experimente des Minimalisten Steve Reich. Daraus hat Justin Vernon das zweite Meisterwerk seiner Karriere geschaffen.

Bon Iver: Bon Iver (4AD/Beggars Group)

Konzert in Hamburg am 6.11. im Docks