In der Theaterinstallation “Cargopolis“ erforschen Anna Schildt und Sigrid Behrens den Hafen von morgen

Hafenmuseum. Majestätisch ruht seine Kulisse, hektisch ist das Treiben dahinter. Der Hamburger Hafen ist für alle Bewohner der Hansestadt ein zentraler Fixpunkt ihres Lebensgefühls. Gleichzeitig wissen die wenigsten, was sich genau an den Terminals und Kränen abspielt. Und welche Rolle dabei dem Menschen zukommt. Die Hamburger Regisseurin Anna Schildt hat schon häufiger markante, nicht theatrale Orte zum Thema ihrer Theaterarbeiten gemacht. Mal hat sie im Verkaufsraum von Ikea inszeniert, mal auf einem Parkdeck. Immer gab es eine Rückkopplung an die Stadt.

Mit der Uraufführung ihres neuen Projekts "Cargopolis", das sie gemeinsam mit der Hamburger Autorin Sigrid Behrens entwickelt hat, zieht sie ab heute ins Hafenmuseum. Das heißt, eigentlich umfasst die Vorstellung zwei Teile: In einer Theaterinstallation an Bord der MS "Bleichen" lauschen die Besucher Interviews mit Hafenarbeitern. Ein Reeder, ein Fastmoker, ein Quartiersmann, ein Schiffsagent und auch eine Seemannsdiakonin kommen zu Wort und berichten aus ihrem Alltag. Das eigentliche Theaterstück ist dann im Hafenmuseum angesiedelt.

"Es gibt Parallelen zwischen dem Stück und den Interviews. Zeichen und Themen blitzen immer wieder auf. Wir untersuchen Zukunftsformen einer Gesellschaft, die ressourcenbewusster und ökosozialer ausgerichtet ist", sagt Anna Schildt zwei Tage vor der Uraufführung in einem Schanzencafé. "Es geht darum, welchen Blick wir auf diesen Ort Hafen haben. Wir antizipieren eine ökologische Veränderung, hinterfragen allerdings auch die Kosten für jeden Einzelnen", erklärt Sigrid Behrens.

Die Handlung setzt nach einer großen Flut ein, vergleichbar jener von 1962. Im Stadtviertel "Cargopolis" dreht sich alles um den Transport. Drei sehr unterschiedliche Hauptfiguren prallen hier mit ihren Lebens- und Gedankenwelten aufeinander: ein Kapitän (Joachim Kappl), eine Logistikerin (Ex-Schauspielhaus-Ensemblemitglied Sarah Masuch) und ein blinder Passagier (Regina Stötzel, die unter anderem in Jan Bosses "Faust" am Schauspielhaus mitwirkt). Sie leben in einer Art Science-Fiction-Welt, in der der Warenumschlag dank neuer wissenschaftlicher Errungenschaften der Quantenphysik per Teleportation funktioniert. Die Materie ist in kleinste Teilchen, sogenannte Quantenbits, zerlegt und wird nach dem Vorbild von Informationen als Internetpost versandt.

Es ist eine entschleunigte Welt, in der die Menschen nicht mehr reisen, Energie und Mobilität über Gegebenheiten wie Wasser, Wind und Menschenkraft geregelt sind. Eine Welt, in der man schon mal schwimmen muss, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Das klingt nach der geradezu idealen Utopie einer humanen Gesellschaft. Doch es schlummern Sehnsüchte aus der alten Welt in den Menschen - auch wenn diese damals unter den Flüchen von Globalisierung und Neoliberalismus noch so sehr ächzten.

"Das Stück setzt eine politische Haltung beim Zuschauer voraus", sagt Anna Schildt. "Wir hinterfragen, in welcher Gesellschaft wir leben und wie wir vielleicht leben wollen." Das Publikum dürfte auf der Rückfahrt die Interviews noch einmal unter einem anderen Blickwinkel betrachten.

Die Regisseurin und ihre Autorin, beide Jahrgang 1976, sind ein erprobtes Team. Anna Schildt hat in Hamburg Theaterregie studiert und gastierte mehrfach beim Kaltstart-Festival, zuletzt 2010 mit einer gelungenen Version von "Kurze Interviews mit fiesen Männern" nach Erzählungen von David Foster Wallace. Sigrid Behrens hat für ihre Texte mehrere Preise erhalten. Ihre Stücke wurden unter anderem bei den Autorentheatertagen am Thalia-Theater aufgeführt.

Die Teleportation, die wir bislang nur aus Schlachtschiffen der Kino-Unterhaltung wie "Star Trek" kennen, wird derzeit tatsächlich von einem Zukunftsforscher in Wien untersucht. Der Kontrast der Inhalte zum Hafenmuseum könnte nicht größer sein. Hier wird die Historie des Warenumschlags lebendig. Inklusive alter Sackkarren.

"Die Figuren wirken da wie hineingebeamt. Sie reiben sich an der Umgebung", so Anna Schildt. Sie räumt ein, dass das Setting Abstraktionsvermögen bei den Zuschauern erfordert. Die Utopie, sie bleibt ambivalent. "Wir beziehen nicht ganz klar Position", sagt Sigrid Behrens. "Das wäre unseriös. Natürlich kann ein Kapitän in einer Welt, in der es keine Schiffe mehr braucht, die Sehnsucht haben, am Steuer zu stehen." Und Anna Schildt setzt hinzu: "Es wird deutlich werden, dass wir den Hafen nicht abschaffen wollen."

Cargopolis 1., 2., 3.7., jeweils 19.00, MS "Bleichen"/Hafenmuseum Hamburg, Hansahafen, Kleiner Grasbrook, Treffpunkt 18.00, Landungsbrücken, Brücke 10, Karten 15,-/erm. 10,- (inkl. Barkassenfahrt), Reservierung T. 76 39 02 66