Seit Kurzem können Kulturschaffende gratis in einer Pension in der Schanze übernachten. Welche Spuren hinterlassen sie?

Hamburg. Hinter der Tür riecht es nach Sägespänen, der Schlüssel zu dieser neuen Welt waren Zahlen. Sechs Ziffern, eingetippt in ein elektronisches Schloss, schnell, flexibel und unkompliziert. Sie sind wie der Raum, den sie freigeben - das "Openroom Artisthotel", eine Pension für Künstler im Schanzenviertel. Kostenlos können sie hier für ein paar Tage Quartier beziehen. Fünf Kajüten auf 40 Quadratmetern. Wie fühlt sich das an, 24 Stunden an einem Ort zu sein, an den die Menschen kommen, um nicht zu bleiben?

Bei der Ankunft am Mittag ist niemand da. Und doch ist sie nicht leer, diese bewohnbare Installation, die der Konzeptkünstler Jan Holtmann und der Bühnenbildner Urs Ulbrich an der Bartelstraße 65 konzipiert und gezimmert haben. Ich suche mir eine der Holzwohnboxen, steige die schmale Trittleiter hinauf und beziehe mein Hochbett. Von der Matratze aus kann ich durch Bullaugen hinabschauen auf den blau gestrichenen Boden. Unterwegs im Rumpf eines Schiffs.

"No Stars, just Bulls" lautet die Devise der Betreiber. Kein 24-Stunden-Service, dafür Durch- und Einblicke. Ein Hotel, das keines ist, sondern ein Spielraum. Für Gedanken. Und Fragen. Zum Beispiel: Wenn hier seit nunmehr zwei Monaten Schauspieler und Filmemacher, Maler und Musiker verweilen, wie prägen sie den Ort? Welche Spuren hinterlassen sie? Ich suche.

Um die linke Schraube am Spiegel hat jemand mit Lippenstift eine Blume gemalt, um die rechte ist ein goldener Draht zum Ornament gedreht. Flyer erzählen von vergangenen und aktuellen Veranstaltungen. Im Kühlschrank sind Eier - ein Zeichen von Leben. Im Frühjahr 2012, wenn das Hotel wieder schließen soll, könnte es zu einer Ausstellung des Provisorischen gewachsen sein. Gewachsen zu sein scheint auch die milchige Flüssigkeit im Tonkrug, den ich in der Küchenzeile finde. "Kombucha - Rezept siehe Logbuch" steht auf einem Zettel. Ich schaue mich um und entdecke das in Leder eingebundene Gästebuch. Viele, die sich eingetragen haben, loben den Ort. Es ist die Dankbarkeit des fahrenden Volkes, das Künstler nach wie vor sind. Um ihre Stücke, Bilder und Lieder ans Publikum zu bringen, reisen sie durch die Lande, zu Bühnen, Klubs, Galerien. "Up In The Air" und "On The Road Again".

"Ich bin begeistert, wie dieser Raum funktional durchdacht ist. Alles, was ein kreativer Mensch braucht, auf kleinstem Raum. Effizient und perfekt!", schrieb eine Tabea vor zwei Wochen. Und erzählt von den "oft prekären Arbeitsbedingungen, unter denen wir künstlerisch tätig sind". Klamme Kassen, reich an Träumen.

Fern oben aus dem Haus tönt Musik. Im Hof applaudiert ein Vater seinen spielenden Kindern. Ein guter Alltagsfilm. Menschen in Overalls laufen vorbei, sie sehen schwer beschäftigt aus. Nur ich, ich warte. Dann geht die Tür auf, zwei Frauen und zwei Männer kommen herein. Hallo. Händeschütteln. Namen. Lächeln. Eine neue Energie. Die vier gehören zu eine Theatergruppe aus Wien, die am Abend ihr Stück "Enter ..." im Foolsgarden an der Lerchenstraße zeigt. Keine zehn Minuten zu Fuß. Rasch packen sie die Requisiten für den Aufbau zusammen. Viermal Tschüs, und ich bin wieder allein.

In kurzen Abständen rauscht die S-Bahn vorbei. Ab und an kommt auch ein Güterzug oder ein ICE. Als müssten die Züge es noch extra betonen, dieses Gefühl, im Transit zu sein, nicht zu Hause.

Die Tür geht erneut. Hallo. Hände. Lächeln. Eine junge Frau mit braunen Locken stellt ein Sixpack auf den Tisch. Die Schuhe sind nass vom Regen. Ihre Begleitung schüttelt draußen den Schirm aus. Sie laden mich ein zu Chips und Bier. Sophie Pölzl und Birgit Rinagl heißen die beiden, 22 und 37 Jahre alt, Fotografinnen aus Wien.

Daten lassen sich schnell abgleichen, Ideen brauchen länger. Also erzählen sie von der Gruppenausstellung "Vrai ou Faux?", die bis Ende Juli im Gängeviertel zu sehen ist. Rinagl hat zu dem Thema Familienporträts gemacht. "Ich zeig meins lieber mal her", sagt Pölzl und holt aus ihrer Holzkoje einen Plexiglas-Würfel, den sie mit fotografierten Oberflächen bezogen hat. Ein Himmel, ein Parkett. Muster schimmern durcheinander, Perspektiven verschieben sich. Ebenso wie die Erwartungen der Gäste. "Bei kostenlosem Künstlerhotel hatte ich an ein abgewracktes, besetztes Haus gedacht", sagt Rinagl. Die Fotografinnen ziehen wieder los. "Was essen auf St. Pauli", sagt Rinagl. "Ich will unbedingt ins Ex-Sparr und in den Golden Pudel Club", meint Pölzl. Hamburg, Deine Attraktionen.

Auf dem Fenstersims steht Lektüre. Ein englisches Buch, daneben ein DIN-A4-Heft mit der Bilanz des Kunst-Festivals "subvision", mit dem im Sommer 2009 die HafenCity bespielt wurde. Hamburg, deine Beseelungsversuche. Die Kulturbehörde fördert das Artisthotel immerhin mit 21 000 Euro. Es ist jetzt bereits eine kleine, intakte Herzkammer, die fein pulsierende Akzente setzt, ohne dass Millionen in Rauch auf- oder die Elbe runtergehen müssen.

Die Tür geht noch einmal. "Oh, toll", sagt eine junge Frau in kurzen Hosen und Turnschuhen. Hallo. Namen. Sehr viel Energie. Die Neuankömmlinge lassen ihre Rucksäcke fallen und recken sich. Da die beiden ihr Stück ebenfalls im Foolsgarden aufführen, beschließen wir, am Abend das Stück der Wiener Truppe anzuschauen. Die Bahnen der Bewohner kreuzen sich. Der Austausch beginnt. Und auch in "Enter ..." geht es um Begegnungen, um neue Räume.

Zurück im Openroom beginnt die Nacht, sie reiht die Geräusche des Sozialen aneinander. Irgendwann geht die Tür. Dann die Spülung. Tür. Spülung. Wasserhahn. Tür. Dann der Schlaf. Erstaunlich gut. Am Morgen ist der Ort ein wenig mehr der eigene. Alles ist weniger neu. Alles ist ein bisschen vertrauter, muss vertrauter sein. Denn der Spielraum mag zwar in Gedanken groß sein, in der Realität ist er doch recht klein.

Müde schlurfen die Mitbewohner aus den Kojen, das Handtuch umgeschlungen, unter die Dusche. Langsam setzt der Tag ein und mit ihm die Pragmatik, die die Kunst eben auch braucht. Eine Schauspielerin zieht sich einen Lidstrich. "Gut Ding will Weile haben", sagt sie. Eine Regisseurin entsorgt die Kombucha-Kultur, die von Ameisen entdeckt wurde. Hier hängt keiner mit dem Kopf in den Wolken, höchstens in Gedanken beim ersten Kaffee. Zum Abschied passen die Sätze, die ein Holger ins Gästebuch schrieb: "Die Zeit wartet nicht auf mich, deshalb nur ein kleines Dankeschön. Befreiend und inspirierend, dieses Schiff. Werde die Idee mit mir rumtragen." Die Kunst, sie ist eine Nomadin.