Zwei Generationen gehen gemeinsam auf das Konzert eines 70-Jährigen, einer der größten Entertainer in der Musik - und beide sind begeistert.

Hamburg. Mein Vater und ich beugen uns neugierig nach vorne. Wir schauen ganz genau hin, als Neil Diamond die Bühne betritt. Im schwarzen Anzug und schwarz-blau gemustertem Hemd. Sein Lächeln ist strahlend, er winkt, für seine 70 Jahre sieht er blendend aus. Und nein: An den Ohren des US-Sängers ist nichts auszusetzen. Sie sind zwar nicht gerade klein, aber auch nicht so riesig wie auf dem Bild, das ich vor 20 Jahren gemalt habe.

Als ich Neil Diamond das erste Mal wahrnahm, war ich acht Jahre alt und hörte "Song Sung Blue" mit meinem Vater in seinem Musikkeller. Auf der schönen 70er-Jahre -Anlage, bei der ich die Nadel des Plattenspielers abgebrochen hatte, und wo nun eine neue Nadel durch die schwarzen Rillen des Vinyls kratzte. Neil Diamond war damals sein Lieblingsinterpret, und als aufmüpfiger Sohn musste ich ihn damit ärgern. Also malte ich Neil Diamond als glitzerndes Strichmännchen mit einem riesigen Melonenschädel und monströsen Ohren. Und fortan, wenn ein Song aus der Feder Diamonds (und das passierte häufig, der Mann hat ungezählte Top-Ten-Hits) im Radio lief, hieß es nur: "Das ist der mit den großen Ohren."

Jetzt ist es anders. Ich bin Musikjournalist, ich muss objektiv sein: Diamond ist noch nicht einmal auf der Bühne, da verliert die lückenlose Bestuhlung in der Konzerthalle schon jede Daseinsberechtigung. Alles steht auf, steht Kopf, dann geht es los mit "Soolaimon"; das Publikum hängt sofort an seinen Lippen. Bei ruhigeren Stücken, wie dem anrührenden Bill-Withers-Cover "Ain't No Sunshine" sitzt es andächtig, nur um zwei Nummern später wieder aufzuspringen. Etwa bei einer endlosen Version von "Sweet Caroline". Immer wieder kommt der Refrain: "Sweeeeeeeet Caroliiiiine, dam dam dam." Mein Vater sagt: "Das Lied mochtest du früher sehr."

Zu Beginn wird besonders "Forever In Blue Jeans" gefeiert, bei "Hello Again" merken wir eindringlich, dass Diamonds Stimme im Alter an Tiefe gewonnen hat und sein ereignisreiches Leben in sich trägt. Außerdem spielt er seit seiner Zusammenarbeit mit dem legendären Produzenten Rick Rubin, der auch schon Johnny Cash im hohen Pop-Alter zu einer Neuerfindung verhalf, wieder mehr Gitarre auf der Bühne und überlässt nicht alles seinen Musikern.

Auch die Bühne erinnert nicht all zu sehr an den Pomp vergangener Jahrzehnte. Reduziert und aufgeräumt ist sie, die 15 hochprofessionellen Musiker und Background-Sängerinnen stehen ordentlich gruppiert auf einer niedrigen Showtreppe, und Neil Diamond bewegt sich in den Zwischenräumen.

Zwischendurch ist er immer wieder ganz höflich: "Es ist nett, dass Sie klatschen", wendet er sich ans Publikum, "aber noch habe ich Ihren Applaus nicht verdient." Also kommen mehr Songs von dem Mann mit der goldenen Hit-Schreiber-Feder, insgesamt zwei Dutzend: "Red Red Wine", ein Stück, dass er mit 19 Jahren über Liebe und Alkohol geschrieben hat, erfreut das Publikum sichtlich, besonders beeindruckend ist allerdings "Solitary Man". "Es ist das Lied, das mich von den Straßen New Yorks in die teuersten Hotels der Welt führte", verrät er dem Publikum.

Einer seiner ersten Hits war das von den Monkees berühmt gemachte "I'm A Believer". Diamond spielt das Stück erst als Ballade und hält dann inne - ihm sei, als würde der Song mit ihm sprechen, sagt er. "Es ist der "Ruf des Rock'n'Roll", so Diamond, dem müsse er nachkommen und arrangiert "I'm A Believer" zur schieren Freude des Publikums als knallige Rock'n'Roll-Nummer. Irgendetwas muss mit meinen Ohren sein, ich habe den Ruf nicht gehört. Aber mein Vater weiß es besser: "Neil Diamond hat die Ohren eines der größten Entertainer der Musikgeschichte", sagt er. Die hören einfach besser.