Marc Fischer fahndet in seinem neuen Buch nach dem Schöpfer des Bossa Nova und hinterlässt ein Dokument vergeblicher Sehnsucht.

Dass Freiheit heutzutage ein so überaus positiv besetzter Begriff ist, hängt vermutlich damit zusammen, dass für gewöhnlich nur die äußere Freiheit gemeint ist, also die von äußeren Zwängen, Fußfesseln, physischer Gewalt. Definiert man Freiheit innerlich, wird es ungleich komplizierter. Freiheit von Gewohnheiten, Gewissheiten, Denkverboten - wer dorthin strebt, setzt sich dem unwägbaren Risiko aus, Lebensstabilität zu verlieren. Kierkegaard prägte für diesen Angstmoment den Begriff "Schwindel der Freiheit": "Er kommt auf, wenn die Freiheit hinunter in ihre eigene Möglichkeit schaut und dann die Endlichkeit ergreift, um sich daran zu halten."

Der Journalist und Autor Marc Fischer hat die Versuche, Gipfel und Abgründe der inneren Freiheit literarisch zu ermessen, nun um ein so außergewöhnliches wie atemberaubendes Beispiel bereichert. Allein schon das Genre ist bemerkenswert, weil ziemlich selten und selten gut. Nennen wir es: dokumentarische Detektivgeschichte. "Hobalala" erzählt von Fischers Freiheitssuche in Gestalt eines Mannes, João Gilberto, des wohl berühmtesten lebenden Phantoms der Welt, Erfinders des Welthits "Girl from Ipanema" und des Musikstils Bossa Nova. Letzten Winter machte sich Fischer auf, den großen Verschollenen in dessen Wohnort Rio de Janeiro aufzuspüren.

Ausgestattet mit Notizblock, Gitarre, einem offenen Rückflugticket, einer stämmigen lesbischen Übersetzerin, die ihm zugleich als persönliche Spurensuchadjutantin dient - er nennt sie nur "mein Watson" - sowie eben den spärlichen Informationen, die über Gilberto kursieren.

Was man weiß: Dass er am 10. Juni 1931 als João Gilberto Prado Pereira de Oliveira in der Kleinstadt Juazeiro geboren wurde - er wurde demnach soeben 80 Jahre alt. Dass er mit 14 das Gitarrenspiel lernte, mit 18 in die Provinzhauptstadt Salvador de Bahia ging und mit 19 nach Rio, wo er einige Jahre später gemeinsam mit Antonio Carlos Jobim den Bossa Nova ins Leben rief, jene legendäre Synthese aus Samba und Cool Jazz, Leichtigkeit und Tristesse. Belegt ist außerdem, dass er in den 60ern fünf Jahre in New York verbrachte, eine berühmte Ex-Frau (Astrud) sowie eine bekannte Tochter (Bebel) hat und seit seiner Rückkehr 1980 in Rio lebt. Alle Jubeljahre bringt er ein Album heraus oder gibt ein Konzert, das er manchmal schon nach wenigen Minuten abbricht, wenn ihm die Atmosphäre missfällt oder ein hüstelnder Zuhörer das Klangerlebnis vergrault. Ansonsten ist er praktisch unsichtbar. Man erzählt sich, er gehe so gut wie nie aus dem Haus, und wenn, dann nur nachts. Er soll immer noch seine riesige Hornbrille tragen, allein seinen inneren Launen folgen, maximal feinfühlig sowie, auf der Skala der inneren Freiheiten, der zehn ziemlich nahe sein.

Fischer also beginnt zu suchen. Und da er von Haus aus ein so begnadeter Schreiber wie findiger Reporter ist, bietet er beste Unterhaltung und findet manches heraus. Zum Beispiel, dass Gilbertos Lieblingsgericht Steak mit Salzkruste ist. Dass der große Unbekannte Katzen und Astrologie liebt und seinen Körper bevorzugt mit Kokosnussseife reinigt. Oder dass er bis heute täglich zwölf Stunden Gitarre spielt, um an einer umfassenden Anthologie der brasilianischen Musik zu arbeiten, die aller Voraussicht nach nie erscheinen wird.

Mit Verve und Finesse nähert sich der Detektiv dem Gesuchten an. Er raucht mit dessen Uraltfreund João Donato einen Joint, trifft Gilbertos Adlatus Otavio, seine zweite Ehefrau, seine sechsjährige Tochter, findet das Badezimmer, wo der João-Sound entstand, sowie nach zahlreichen Fehlschlägen und erfolgreicher Verfolgungsjagd sogar Gilbertos Wohnadresse.

Vor allem aber wandelt sich mit der Suche auch der Suchende selbst. So wie Joseph Conrads Kapitän Marlow im "Herz der Finsternis" den kongolesischen Urwald auf der Suche nach dem Elfenbeinhändler Kurtz durchstreift und dabei sein Innerstes ins Wanken gerät, so verliert sich Fischer auf Gilbertos Spuren immer mehr in den Fängen der Saudade.

Womit auch der Hauptunterschied zwischen Conrads Novelle und Fischers Reportage benannt ist: Der Abgrund, in den Marlow blickt, ist die menschliche Rohheit. Fischer hingegen verfällt zunehmend jenem von Gilberto so unvergleichlich besungenen Lebensgefühl, der unstillbaren Sehnsucht nach Schwerelosigkeit, die im Gilberto-Universum stets aufs Neue in Einsamkeit endet.

Fischer verletzt sich, auch physisch, vor allem aber seelisch an der verschwenderischen Schönheit des Gesuchten, dessen dunkle Macht mehrfach zur Sprache kommt. Etwa in den Worten des Gitarristen Roberto Menescal: "Er hat einen sehr starken Geist, der andere Menschen niederdrücken kann." Am Ende kehrt der Autor ganz knapp vorm Ziel, aber dessen Unerreichbarkeit vor Augen, als verwandelter Mensch nach Deutschland zurück.

Es ist nicht zuletzt diese, mit der Wesensart des Gesuchten korrelierende Vergeblichkeit der Mission, die "Hobalala" zu einem auch formal zwingenden Werk macht. Die offensichtlichen Bezüge des Buchs zum Schicksal des Autors nehmen einem schließlich den Atem.

Marc Fischer, der in Hamburg-Hummelsbüttel aufwuchs, in Eppendorf lebte und Anfang des neuen Jahrtausends nach Berlin zog, dorthin, wohin es seit zwei Jahrzehnten die halbe Welt der Sucher und Sehnsuchtsvollen zieht, starb am 2. April 2011 unter tragischen Umständen in Berlin-Kreuzberg. Er wurde 40 Jahre alt.

Wer, wie der Autor dieser Zeilen, Marc Fischer kannte, wer mit ihm gearbeitet und gestritten, getanzt und gelacht hat, für den muss "Hobalala" eines der unvergesslichsten Bücher sein, die es nur geben kann. Allen anderen sei es anheim gestellt als schillerndes Dokument vom Schwindel der Freiheit.

Marc Fischer: "Hobalala. Auf der Suche nach João Gilberto", Zweitausendeins, Rogner & Bernhard, 197 Seiten, 17,90 Euro